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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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David hoch zu Roß auf dem Hof. Ich bemerkte, daß Albert sich nur mühsam vorwärtsbewegte; die anderen stützten ihn. Als der Fürst meiner ansichtig wurde, zügelte er sein Pferd und rief:
    »Jean! Wie ich mich freue, dich zu sehen!« Und dann äußerte er sich gerührt über mein erbärmliches Aussehen.
    Ich ging mit ihm in die Gemächer, während alle übrigen draußen zurückblieben. Meine ersten Worte waren:
    »Euer Herrlichkeit ist gerade noch zurechtgekommen. Im Morgengrauen sollte mir der Kopf abgeschlagen werden…«
    »Du bist aus einem Abgrund wiederaufgetaucht«, erwiderte David und schloß mich in die Arme. »Und jetzt berichte alles, was sich in Arras zugetragen hat.«
    Meine Herren, was hätte ich ihm sagen sollen? War es denn möglich, soviel Unglück in so wenig Worte zu fassen? Womit beginnen, womit enden? Mir kam es plötzlich vor, als müßte ich, wollte ich den hiesigen Ereignissen gerecht werden, bei der Erschaffung der Welt beginnen. Und so sagte ich nur:
    »Verzeiht, mein Fürst, aber ich bin zu erschöpft, um Euch jetzt Rede und Antwort zu stehen. Es ist noch nicht lange her, daß ich im Verlies des Rathauses gesessen und mich auf den Tod vorbereitet habe. Darum erlaubt mir, zu gehen, um später zu Euch zurückzukehren.«
    »Du hast recht«, sagt David. »Geh und ruh dich aus. Und wenn du wieder soweit bei Kräften bist, um mich zu besuchen: ich freue mich immer, dich zu sehen…«
    Ich verließ die Gemächer des Fürsten und befand mich nun wieder auf dem Hof. Er war leer. Alle waren sie in ihre Häuser zurückgekehrt, so als ob in dieser Nacht nichts Besonderes geschehen sei. Und es ist wahr, den anderen war ja auch nichts geschehen! Nur ich hatte meine Auferstehung erlebt.
    Ich fühlte mich furchtbar matt und schläfrig, und doch riß ich mich zusammen und suchte den Mann, der mein Henker hatte sein sollen. Er hockte in der Wachstube. Bei seinem Anblick rief ich aus: »Sie wollten dir drei Dukaten für meinen Kopf geben. Da hast du drei Dukaten!« – und streifte einen kostbaren Ring vom Finger.
    Der Mann sträubte sich, vermutlich fürchtete er eine Falle. Deshalb sagte ich zu ihm:
    »Hab keine Angst! Nimm den Ring, ich möchte, daß du dich deines Lebens freust wie ich mich des meinen. Und bete für mich!«
    So nahm er denn den Ring und küßte meine Hand.
    Vom Rathaus ging ich nach Hause. Aber ich ging ungewöhnlich langsam. Die Nacht war bereits fortgeschritten. Der Himmel, anfangs schwarz und sternlos, ließ an schlecht gewalkte Serge denken. Gleich feinen Rinnsalen kam hier und da ein Streifchen Helligkeit zum Vorschein, es war, als zerrisse geräuschlos ein Vorhang. Eben in diesem Augenblick hätte ich aus dem Ratssaal zu den Pforten der Kirche der Allerheiligsten Dreifaltigkeit gebracht werden sollen. Die Wachen hätten den Schritt verlangsamt und aufmerksam zum Himmel emporgeschaut. Noch nicht jetzt… Machen wir halt!
    Wind wehte, er rauschte in den nackten Kronen der Bäume. Mit ihm flog der Geruch feuchter Wiesen heran, die sich dicht hinter den Stadtmauern hinzogen. Und wieder führen mich die Wachen. Vorwärts! Im Osten zerreißt der Himmel mehr und mehr. Ein Hahn hat gekräht. Über die gefrorene Erde klappern Pferdehufe. Und da ist auch schon die Kirche der Allerheiligsten Dreifaltigkeit! Langsam taucht sie aus dem Dämmer auf.
    Die Kälte durchdrang mich jetzt bis ins Mark. Wo waren die Fackeln im Kirchenschiff? Wo die Gesänge? Der Fürst ist gekommen, und so hat man für mich keine Lichter angezündet, und niemand verabschiedet mich mit Psalmen. Dank sei dir, Fürst! Und da – der erste Sonnenstrahl! Irgendwo unterhalb der Dächer. Man spürt ihn mehr, als man ihn sieht. Ich wandere am Schafott vorüber. Dort, hoch oben, erblicke ich einen Stamm. Bei Tage ist er rot von Blut, doch zu dieser Stunde wirkt er wie eine gedrungene schwarze Silhouette.
    Als die rosigen Strahlen schräg auf das Dach meines Hauses fielen, stand ich auf der Schwelle. In diesem Augenblick sollte mein Kopf fallen. Ich berührte ihn zärtlich. Er saß fest auf den Schultern.
    Ich betrat den Hausflur und ging dann über den Hof zu der Stube, wo sich für gewöhnlich meine Dienerschaft aufhielt. Ich wußte, sie war zu Hause geblieben; allzu viel Güte hatte ich ihr erwiesen, als daß sie jetzt dem Tode ihres Herrn hätte beiwohnen wollen. Als sie mich in der Tür erblickte, stürzte sie vor Entsetzen in die Knie; sie glaubte meinen Geist vor sich zu sehen, der in seine heimatliche Behausung

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