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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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sich knarrend vorwärtszubewegen, ohne daß man wußte, wohin und wozu. Nur eins war gewiß, daß es auf den nächsten Abgrund zuging, den das Schicksal für diesen Wagen bereithielt. Die Bürger von Arras empfingen den Fürsten und seinen Hof mit makelloser Etikette, und es fehlte nicht an solchen, die nach dieser Visite eine glückliche Veränderung erwarteten, aber die Mehrzahl verhielt sich nur, wie es ihnen Anstand und Sitte geboten.
    Ich besinne mich, daß die Leute, als David nach der großen Seuche und dem Hunger zu uns kam, ihn ohne Überschwang, aber dennoch mit Hoffnung empfangen haben. Während jenes berühmten Festmahls, da er uns der Überheblichkeit – eine Folge der unlängst durchgestandenen Leiden – zieh, waren ihm alle dankbar und priesen seine Gegenwart. Doch jene Zeiten waren unwiederbringlich dahin… Mehr noch, im Jahr der Pest hatten alle verstanden, daß Gott selber oder der Teufel das schwere Schicksal heraufbeschworen hatte. Die Seuche war nicht unser Werk, während wir uns die letzten Geschehnisse, denen so viele der achtbarsten Landsleute zum Opfer gefallen waren, selber zuschreiben mußten. Zwar erhoben sich hier und da Stimmen, daß das doch nicht sein könne, daß höchstwahrscheinlich eine furchtbare Krankheit Arras heimgesucht und den Verstand seiner Bürger verwirrt habe, aber die Mehrzahl wollte nichts davon hören: »Wir haben es satt, nach den Ursachen unseres Unglücks und des Übels zu suchen, das die Stadt zerfressen hat. Einmal war es die Seuche, ein andermal göttlicher Richtspruch oder Teufelsschabernack oder wiederum eine geheimnisvolle Krankheit. Wir sind all dessen müde und zu glauben geneigt, daß wir nun einmal sind, wie wir sind, nämlich gebrechlich und töricht, und daß wir uns darum gefangennehmen lassen vom Honigseim leerer Worte und der Grausamkeit tückischer List. Aus Arras wird nichts mehr! Es ist verloren, von Gott verworfen, dem Teufel und sogar von seinen Fürsten, der Schwäche und dem plattesten Glauben, den je ein Menschenherz beherbergt hat, zum Raub gegeben. Wir wurden verurteilt, aber wir nehmen das Urteil ruhig auf; wir sind bereit, weiterhin im Einklang mit unserer Vorherbestimmung zu leben, Bildteppiche zu weben, Serge zu verkaufen, die fetten Picardie-Stiere zu züchten. Doch das heißt durchaus nicht, daß wir irgendwann einmal Freude an unserem Dasein finden werden oder uns der Furcht vor unserer eigenen Natur entledigen können. Denn wieder wird so ein Tag kommen, da wir einander die Kehlen durchzuschneiden beginnen…«
    Nach außen hin also war die Stadt in Festtagsstimmung, in den Herzen der Menschen aber mehrten sich Trauer und Furcht. Am Mittag jenes Sonntags ritt David auf den Markt. Sein Pferd war braun, das Geschirr silbern, der Federbusch am Kopf violett. Der Fürst hatte sich in den Steigbügeln aufgerichtet, das Pferd scharrte mit dem Huf. So verharrten sie beide eine Weile, und das ringsum versammelte Volk kniete demütig. Dann stieg David vom Pferd, dabei verfing sich jedoch sein Fuß im Steigbügel; ärgerlich zerrte er daran, und ein Knecht sprang herzu, um dem Herrn zu helfen. Einige hielten das für ein böses Omen, aber die Mehrzahl der Leute glaubte schon an kein Omen mehr. Weithin vernehmbar hallte Glockenklang; am heftigsten läutete die Glocke der Kirche des heiligen Fiacrius, der Kirche, die zuvor das Unglück verkündet hatte. Der Fürstbischof schritt zur Kirche, über dem Volk das Kreuz schlagend. Als er im Kirchenschiff verschwunden war, wieherte sein Pferd laut, und die rotgefärbten Nüstern blähten sich und bedeckten sich mit Schaum. Und wiederum gab es welche, die dieses für ein gutes Zeichen hielten – der Rest aber schwieg bekümmert.
    Dann begann die große Messe beim heiligen Ägidius, und sie dauerte fünf Stunden. Man sang Psalmen und sämtliche Gebete. Das Volk weinte sehr, Tränen flossen aus vielen Augen; aber ich denke, daß die Herzen kühl blieben. Selbst als sich der Fürstbischof, von würdevollen Vätern aus Gent unter den Armen gestützt, mit dem Allerheiligsten Sakrament bei der Vorhalle zeigte, machte es auf die Bürger von Arras keinen großen Eindruck. Wieviele Male hatten sie das Sakrament geschaut, wie viele Male Christus in sich aufgenommen, ihm dabei ihren ganzen Glauben dargebracht. Und was war die Folge davon?
    Endlich kam der größte Augenblick:
    David vergab der Stadt ihre Sünden und segnete sie; alle Prozesse erklärte er für null und nichtig, als aus schlechtem Glauben

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