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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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zurückkehre. Doch rasch begriffen sie, daß ich lebte und mich der Freiheit erfreute. Sie jubelten laut. Doch mein Blick suchte nur den einen. Da war er! Er wußte sofort, was ihn erwartete, und wollte entwischen, aber ich stellte mich ihm in den Weg.
    Damals sagte ich:
    »Ihr alle wißt, daß es dieser da gewesen ist, der mich dem Henker ausgeliefert hat. Wie Judas! Er ekelt mich an, und ich werde nicht Hand an ihn legen, aber ihr könnt mit ihm machen, was ihr wollt.« Und ich verließ die Gesindestube.
    Ich war noch nicht in meinen Gemächern angelangt, als ein gellender Schrei an mein Ohr drang. Einer, ein zweiter, ein dritter… Dann war alles still.
    Nach einer Weile betrat leise mein Leibdiener meine Gemächer, um mir vor dem Schlafengehen zu dienen. Ich sehe, daß seine Hände blutbeschmiert sind.
    »Wasch dich!« sage ich. »Und faß nicht meine Kleider an!«
    Gehorsam ging er, und ich begab mich zur Ruhe.
    So endete die furchtbare Nacht meiner Hinrichtung.

I M N AMEN DES V ATERS UND DES S OHNES UND DES H EILIGEN G EISTES. A MEN . Am Mittag des folgenden Tages kam Chastell zu mir mit der Botschaft, der ehrwürdige Vater Albert sei erkrankt und wünsche mich dringend zu sprechen. Ich wollte nicht gehen, aber Chastell fügte hinzu, daß solches der Wille des Bischofs sei. Darum machte ich mich zu Alberts Haus auf. Ein Dominikaner aus Gent war bei ihm, der mit dem Fürsten nach Arras gekommen war und jetzt gerade dem ehrwürdigen Vater die Beichte abnahm.
    Ich warte in einem Nebenraum, die Türen sind nur angelehnt. Ich höre gedämpftes Flüstern. Das dauert sehr lange. Endlich erscheint der Dominikaner. Er hält sich mit dem Kuttenärmel die Nase zu. »Der Alte stinkt mächtig«, brummt er und geht.
    Ich befand mich in der Stube des Sterbenden. Wir waren allein. Albert sah mich an und ich ihn. Man konnte erkennen, daß er nicht mehr lange zu leben hatte. Und wirklich, er roch übel. Ich setzte mich an sein Bett und schwieg. Er winkte mich näher zu sich heran – er konnte schon nicht mehr richtig sprechen. Von innen war er ganz aufgequollen, und nur mühsam bewegte er die Zunge im Munde.
    »Jean, mein Schüler«, lallte er kaum hörbar. »Siehe, ich sterbe nun. Ich habe Gott ans Herz genommen und bin getrost. Er hat mir meine Schuld vergeben. Also habe ich dich rufen lassen, um dir zu sagen, daß auch ich dir vergebe…«
    »Was vergeben, Vater?« fragte ich verblüfft.
    »Ich hab dir immer gesagt, Jean, daß Arras und ich ein und dasselbe sind. Und solange ich lebe, wird das so sein. Also vergebe ich dir deine Schuld gegenüber dieser Stadt. Und sag den anderen Bürgern, daß ich auch ihnen ihre Schuld vergebe. Sie haben Arras nicht bis zu Ende die Treue bewahrt, und es wird noch einmal die Zeit kommen, da sie das unter Tränen bereuen werden, aber ich vergebe…«
    Ich schwieg, weil ich plötzlich zornig war auf diesen Greis. Er aber redete weiter:
    »Nicht alles, an das geglaubt wird, ist Gott wohlgefällig. Aber jeder Glaube ist immer noch besser als Unglaube. Einige in Arras meinten – dem Beispiel der Fürsten und Bischöfe folgend – ihren Geist der höheren Philosophie und der Welterkenntnis weihen zu müssen. Und dabei wäre es an ihnen gewesen, vor allem zu glauben und noch einmal zu glauben…«
    »Vater Albert«, unterbrach ich ihn, ohne mit meinem Spott hinterm Berg zu halten. »Welchen gemeinsamen Glauben können die, die unten, und die, die oben sind, haben? Welchen diejenigen, die richten, und diejenigen, die gerichtet werden?«
    Er wollte die Augen schließen, aber die Lider waren so geschwollen, daß seine Pupillen noch immer zu sehen waren. Er sagte nichts. Ganz am Ende, in der letzten Stunde seines Lebens, hatte er endlich begriffen, daß er nicht zu dem Menschen sprach, zu dem er sprechen wollte und bisher zu sprechen glaubte.
    Ach, meine Herren, wie sehr muß er gelitten haben, als ihm das bewußt wurde! So viele Jahre hatte er alle Anstrengungen unternommen, mich nach seinem Ab- und Ebenbild zu formen, um mir sein gesamtes Erbe anzuvertrauen. Und da nun, im Augenblick des Hinscheidens, mußte er einsehen, wie falsch er das Kapital seiner Hoffnungen angelegt hatte. Ich wußte, daß er aus diesem Grunde litt. Aber sollte ich ihn im Angesicht Gottes betrügen? Sollte ich Theater spielen wie ein schnöder Komödiant? Nein, das konnte ich nicht. Ohne Zweifel fühlte ich mit Albert, vor allem aber empfand ich Sorge, die es doch eher den Lebenden als den Toten zu erzeigen geziemt.
    Die

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