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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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Schuld bekennen mochten. Ja, ich glaube sogar, daß sie sich gar nicht schuldig fühlten in dem Sinne, wie ihnen das ein fremder Mensch zuzuschreiben geneigt ist. Denn sie fühlten sich nicht schuldig wegen ihrer Taten, sondern eher wegen des guten Glaubens, der sie geführt hatte. Wenn sie Zwiesprache hielten mit ihrem Herzen, dann fragten sie sich nicht: Warum habe ich Unschuldige getötet?, sondern sie fragten wohl: Warum habe ich geglaubt, daß man andere Menschen in Arras töten darf? Und es zählte nicht mehr für sie, ob jener unglückselige Celus das Anwesen des Damaszeners verflucht hatte, sondern von Wichtigkeit war nur noch, ob es recht und billig gewesen war, so grausam mit Celus zu verfahren…
    Ach, meine Herren! Die Männer aus dem Rat waren niemals zuvor so mannhaft und edel gewesen wie gerade in jener Nacht, da man das Tor Trinité öffnete und David in die Mauern von Arras einritt. Auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnten, welch grausame Strafe sie treffen würde…
    Sie warteten lange darauf, während sie mit sich und ihrem Gewissen rangen. David ritt in die Stadt ein, und bereits am Morgen darauf ließ er verkünden, daß er am kommenden Sonntag eine feierliche Messe zelebrieren und bei dieser Gelegenheit alle Sünden vergeben werde. Arras bereitete sich also auf diese Feierlichkeit vor, und die Ratsmitglieder mutmaßten, daß sie sich später vor dem Bischofsgericht würden zu verantworten haben. Vorläufig gingen sie frei umher, aber ehrlich gesagt, man bekam sie nirgends zu sehen. Sie hielten sich in ihren Häusern verborgen, die Türen fest verriegelt, und waren ein jeder für sich verloren und verlassen.
    Doch an dem besagten Sonntag fand kein feierliches Hochamt statt. Am Vortag hatte nämlich der ehrwürdige Albert seine Seele an Gott zurückgegeben. Wie er starb, habe ich bereits berichtet.
    So erwies sich der Sonntag, obwohl er ein Freudentag hatte sein sollen, als Trauertag. David ließ ein überaus prunkvolles Begräbnis anordnen. Und was, meine Herren, sagt ihr dazu, daß eine ungezählte Menschenmenge herbeiströmte, um Abschied von Albert zu nehmen?
    »Da ist ein Herr von uns gegangen, der gefehlt, aber der geglaubt hat«, sprachen die Leute.
    Man setzte den ehrwürdigen Vater in der Kirche der Allerheiligsten Dreifaltigkeit in einer Nische am großen Altar bei. Sein Körper war riesig geworden, und obwohl sehr kühle Tage kamen, so kühl, daß nachts ein leichter Frost anhielt und Rauhreif die Kirchendächer bedeckte, roch er entsetzlich und fiel stückweise auseinander. Eine ekle Flüssigkeit sickerte dem Toten aus allen Gliedmaßen. Es gab Leute, die behaupteten, daß der Teufel sich einen Fluchtweg suchte, aber keiner wollte so recht auf sie hören.
    »Herr Albert«, sagten die Bürger, »war ein sehr unglücklicher Mensch, weil er zu inbrünstig geglaubt hat…«
    Folglich begrub man ihn mit Ernst. Es war da weder Liebe noch Verbitterung, sondern eben Ernst und eine große innere Sammlung, die ein Fremder nie verstehen wird.
    Alberts Leichnam wurde in der Nische am Altar eingemauert. Es kamen die für solche Arbeiten zuständigen Männer, denen man sonst am liebsten aus dem Wege ging. Sie waren jenseits der Stadtmauern ansässig, fern von allen anderen – zottelig, mit langen Bärten, in Leinenhemden und barfuß. Aber anders als sonst üblich, machte diesmal keiner einen Bogen um sie, und keiner bekreuzigte sich bei ihrem Anblick. Nicht wenige Bürger gaben den Maurern sogar einen Groschen mit den Worten: »Mauert ordentlich; denn das war ein armer und sehr unglücklicher Herr, daher soll er bequem ruhen.«
    Als sie die Nische zumauerten, läuteten die Glocken, und die Menschen beteten stumm.
    So hielt David erst am zweiten Sonntag die große Messe ab und verkündete die Annullierung der Prozesse, und zu nächtlicher Stunde weilten wir beim Mahle.
    Und da war es, daß er mir zutrank und sagte, daß niemand glücklich sei. Ich wußte, worauf er hinaus wollte. Vor Mitternacht hatte er Gericht zu halten über die Mitglieder des Rates. Man hatte ihnen befohlen, sich auf dem Rathaushof einzufinden; aber jeder kam allein, ohne Wächter.
    Endlich erhob sich der Fürst und hieß uns mit ihm auf den Kreuzgang hinausgehen, weil er von dort zu dem Rat der Stadt Arras sprechen wolle. Und so gingen wir hinaus.
    Die Nacht war kühl, war matt von Fackelschein erhellt. Vom Markt klang gedämpft das Krakeelen des Volkes herüber, dem man befohlen hatte, zu essen und zu trinken und

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