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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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den sie auf Irrwegen vorwärtsziehen mußten. Da ich selber für mich die mir angemessene Freiheit suche, werde ich auch ihnen nicht das Recht auf eine freie Wahl absprechen. Mag jeder seinen eigenen Pfad beschreiten. Die Pfade der Toren sind nicht die meinen, aber ebnen werde ich sie ihnen auch nicht; das führt zu nichts. Die Nüchternen mögen bei ihrer Nüchternheit bleiben und die Tollen bei ihrer Tollheit…«
    So sprach David, und ich hörte ihm mit Verzweiflung und wachsendem Zorn zu. Als er zu Ende gesprochen hatte, rief ich aus: »Fürst! Man muß doch aber zugeben, daß ihre Tollheit etwas Heiliges hatte!«
    Da brach der Fürstbischof in Gelächter aus. Er lachte schallend und lange, so daß man an den Tischen die Köpfe nach uns drehte und aufmerksam in unsere Richtung schaute.
    »Lacht nicht, Euer Herrlichkeit, damit beleidigt Ihr das Andenken derer, die hier ihr Leben ließen!« sagte ich mit einer bisher noch nie dagewesenen Aufsässigkeit.
    Er aber, wieder ganz fröhlich:
    »Ich verzeihe dir, lieber Jean, du hast offenbar zuviel getrunken!«
    »Ich bin nicht betrunken, mein Fürst«, sagte ich, »aber eines weiß ich – die Urteile, die die Prozesse in der Stadt Arras annullieren, sind unwürdig. Es ist kein gut Ding zu sagen, wie du gesagt hast: Was geschehen ist, ist nicht geschehen, und was gewesen war, ist nicht gewesen! Denn die Wahrheit ist, daß das Geschehene geschehen und das Gewesene gewesen ist. Euer Herrlichkeit glaubt, daß ein Zeichen mit der Hand genüge, damit Tränen versiegen, Blutflecke verschwinden und die Gewissen wieder weiß wie Schnee sind. Aber das stimmt nicht! Auf uns alle hier in Arras hat das Grau der Sünde abgefärbt, und wir erinnern mehr an ungebleichtes Linnen als an Schnee und auch eher an Schwarzerde als an Honig. Aber so ist es auch besser; weil aus der Erde das Korn wachsen kann, während von Schnee und Eis nur Kälte ausgeht. Und man kann die Schultern mit einem Hemd aus Leinen bedecken, nicht aber über die nackten Gliedmaßen ein Gewand aus Schnee ziehen. Ihr glaubt, gut und verständnisvoll zu sein, Fürst, doch Ihr seid es nicht! Mangel an Barmherzigkeit tötet, aber ihr Überfluß gleichermaßen. Was habt Ihr mit dem Rat gemacht? Ihr heißt ihn aus der Stadt gehen, ohne Vorwürfe zu erheben und ohne jemand zu bestrafen, so als sei hier nichts geschehen! Aber es ist etwas geschehen! Auch wenn Ihr noch so brennend wünscht, daß das, was war, nicht gewesen ist, so verhält es sich doch ganz anders. Euch, Euer Herrlichkeit, ist gestattet, alles mit einer Handbewegung abzutun, denn Ihr seid fremd. Aber wir? Also, diese ganze ungeheuerliche gemeine Sünde soll sich nun als ein Nichts herausstellen und diese ganze Grausamkeit als Bagatelle? Wozu kroch denn die Stadt Arras in den stinkenden Mist ihrer Verbrechen und Ungesetzlichkeiten, wenn sich nun herausstellt, daß auch kein einziger Schritt vorwärts gemacht wurde? Haben wir dazu die Scheiterhaufen entzündet, die Juden gemartert sowie das einfache Volk, Adel und Priesterschaft, um nun von Euch zu hören, daß das alles nicht wahr, eitles Truggespinst unserer armen Sinne ist? Ihr sagt, es gibt keine Erlösung, kein besseres Teil für die Stadt Arras, für die ganze Welt? Wozu also hat der Sohn den Vater den Stadtknechten ausgeliefert, wozu hat man die jüdischen Gehöfte verbrannt, wozu die Leiber derer, die die Stadt für Abtrünnige hielt, in Fetzen gerissen? In die tiefsten Tiefen sind wir hinabgestiegen, um uns zu erhöhen – und Ihr, Fürst, sagt uns jetzt, daß ein derartiges Unterfangen vergebliche Liebesmüh sei! Das darf so nicht sein in einer von Gott geschaffenen Welt – und wenn nicht von Gott, so doch vom Teufel geschaffen. Und wenn auch nicht vom Teufel, so von uns selber! Euer Herrlichkeit, habt Mitleid mit dieser unglückseligen Stadt, die so eifrig ihren Weg gesucht hat, und sagt ihr nicht, daß der einzige dem Menschen verbleibende Weg zu Falkenjagden oder in den Festsaal führe… Denn das darf nicht sein. Anders müßte die Erde versinken, die Sterne müßten verlöschen, die Bäume verdorren. Das darf nicht sein, das darf nicht sein, das darf nicht…«

I M N AMEN DES V ATERS UND DES S OHNES UND DES H EILIGEN G EISTES. A MEN . Danach habe ich geweint wie noch nie in meinem Leben. Die Tränen flossen mir nur so aus den Augen vor unaussprechlichem Schmerz. Und zusammen mit mir weinten die beim Festmahl anwesenden Bürger der Stadt Arras, während der Hof des Bischofs überrascht verstummt

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