Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
Vom Netzwerk:
begonnen, als lästerlich und unwürdig. Kraft seiner bischöflichen Amtsgewalt machte er im Nachhinein die Verurteilung des Juden Icchak und des Ältesten der Gemeinde ungültig, den Prozeß des Herrn de Saxe und des Herrn du Losch, den Prozeß des Meisters der Stadt Arras sowie alle Hexenprozesse.
    Der Bischof sagte: »Was geschehen ist, ist nicht geschehen, und was war, ist nicht gewesen!«
    Und wieder segnete er die Stadt, für die er vom Herrgott die Vergebung der Sünden und die Tilgung jeglicher Schuld erwirkt hatte.
    Die Glocken tönten so grell, daß riesige Vogelschwärme ängstlich davonflogen. Den Glöcknern strömte der Schweiß in die Augen, aber David hatte sie reichlich bezahlt, also läuteten sie, was das Zeug hielt. Blut tropfte von den Handflächen, und einer der Männer fiel aus der Höhe herab und brach sich die Knochen.
    Die Sonne war bereits untergegangen, als der Fürst, wieder mit dem Rittergewand angetan, den Hut auf dem Kopf, einen violett und silber bestickten Mantel um die Schultern, die zum Westtor führende Straße entlangritt. Dort begrüßte ihn die Judengemeinde mit demütiger Ehrerbietung. Eine gewaltige Klage stieg auf zum Himmel, als der Älteste der Gemeinde des Herrn Hand küßte, und der Fürst sprach:
    »Lebt in dieser Stadt in Friede und Genüge! Ich nehme euch unter meinen Schutz wie alle hiesigen Bürger!«
    Des Abends befahl der Fürst der Stadt, sich zu vergnügen. Noch niemals zuvor wurden in Arras so viele Teerfackeln abgebrannt. Wie der würdige Herr Roiin erzählte, der trotz seines hohen Alters extra aus Brüssel angereist war, um sich die Feierlichkeiten anzuschauen, wurden diese Nacht wohl an die dreißig Ochsen, hundert Stück Lämmer und so viel Geflügel verzehrt, daß man es einfach nicht zählen konnte. Fässer mit Bier und Most waren herangerollt worden.
    Im Rathaus tafelte der Fürst mit seinem Hof und einer Schar vornehmer Herren der Stadt. Wieder saßen wir in demselben Saal wie vor drei Jahren, und wieder aßen die Bürger von Arras wenig, während der Hof unmäßig dem Essen zusprach. Aber David machte uns keine Vorhaltungen mehr. Er selbst schien betrübt. Ihn freute nicht einmal, daß Albert abwesend war – Albert, sein ärgster Feind, der endlich für immer gegangen war…
    Der Fürst saß zwischen mir und Chastell.
    Meine Herren! Das ist doch wirklich komisch… Wie viele Male hatte ich in Gent in dieser Gesellschaft geschmaust. Schließlich war ich ein enger Freund Davids. Nicht selten gab er mir seine Frauen oder lieh mir seine Falken. Was Chastell betraf, so war er mir in den Jugendjahren Mentor und Beschützer gewesen, und alles, was ich in meiner Natur vom Adler oder Stier habe, verdanke ich ihm, so wie ich alles, was von Fisch oder Schlange in mir ist, Albert zuschreibe. Und doch waren wir uns bei diesem letzten Festmahl völlig fremd.
    Irgendwann bei dem Gelage sagte David, mir zutrinkend:
    »Ich weiß, du bist nicht glücklich, Jean! Aber ich bin’s auch nicht. Keiner von uns ist es…«
    Seine Augen waren müde wie die eines Ochsen nach dem Pflügen. Ein weicher Zug lag auf seinem Gesicht, etwas Feminines hatte sich darin ausgebreitet, was mir bei diesem Antlitz, das sich sonst stets hart und spöttisch zeigte, unangenehm war. Chastell, der älteste von uns und – wie ich meine – der gescheiteste, nickte zustimmend. Dieser großartige Trunkenbold und Schwelger, von dem seit einem Jahrzehnt in ganz Burgund die Mär lief, sah aus wie ein morscher Baumstumpf oder schlimmer noch – wie eine löchrige Blase. Keine Kraft mehr in ihm. Nur noch fixe Ideen!
    Bevor ich jedoch zu dem Festessen komme, möchte ich kurz noch erwähnen, was in der Stadt geschehen ist, als der Fürst in Arras ankam und die Tore zu öffnen befahl. Ich kenne diese Ereignisse von den Schilderungen sehr verschiedener Personen; denn wie ihr wißt, saß ich selber zu der Zeit im Rathaus und bereitete mich auf den Tod vor.
    Mitten in der Nacht hatte man Albert, der wachte und betete, gemeldet, daß sich ein Bote des Bischofs von Utrecht den Stadtmauern nähere und die Öffnung sämtlicher Tore verlange. Albert rief, so schnell es ging, seinen Rat zusammen. Die Ratsmitglieder trafen sogleich im Rathaus ein; Knechte hatten sie aus den Betten geholt. Pierre de Moyes erzählte mir, daß sie eher Strohpuppen als lebendigen Menschen glichen. Alle hatten sie von Müdigkeit und innerer Spannung angeschwollene Gesichter, ihre Augen waren blutunterlaufen, die Glieder kraftlos und

Weitere Kostenlose Bücher