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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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Brücke sank langsam herab. Ich blickte zum Tuchmacher Yvonnet hinüber, der ganz in meiner Nähe stand, und ich sah, wie ihm zwei Tränen über die Wangen rollten. Aber ich vernahm keinen einzigen Klagelaut. Furcht packte mich, und ich wollte schon in die Knie sinken; dennoch rührte ich mich nicht, wie auch die anderen reglos standen. Auf jener Seite geriet alles in Bewegung, Pferde bäumten sich auf und wieherten laut. Das waren die Mannen des Fürsten, die für ihn ein angemessenes Spalier bildeten. Als erster ritt David auf die Brücke. Neben seinem Pferd schritten zu beiden Seiten Knechte mit Fackeln. Die Pferdehufe hallten dumpf auf den Holzbohlen wider. Nach dem Fürsten setzte sich sein Gefolge in Bewegung, aber es war so zahlreich, daß ein großer Teil auf der anderen Seite zurückblieb. Jetzt hielt der Fürst im Ritt inne und stieg vom Pferd.
    Keiner vom Rat kniete, wir neigten nur die Köpfe zum Gruß. Ich hielt wieder Albert am Arm, der sich ohne fremde Hilfe nicht auf den Beinen halten konnte.
    Warum begrüßt mich der Rat nicht?‹ fragte der Fürst tonlos. ›lch treffe des Nachts ein und wohl nicht zu passender Stunde, aber ich habe eine weite Reise hinter mir und denke nicht daran, länger auf eine Begrüßung zu warten…‹
    Da trat Thomas aus unserem Häuflein hervor, verbeugte sich noch tiefer und sagte laut und deutlich:
    ›Die Stadt Arras begrüßt Seine Herrlichkeit den Fürstbischof und stellt sich unter Seinen Schutz!‹
    Darauf näherte sich David um einen Schritt und fragte:
    ›Wer bist du?‹
    ›Ich bin der Wagner Thomas, genannt der Lahme, wegen meines Hinkefußes. Ich gehöre zum Rat der Stadt Arras.‹
    Darauf der Fürst: ›Gott schenke dir Gesundheit, Thomas!‹ – und bestieg sein Pferd, und sich im Sattel zurechtsetzend, rief er etwas munterer: ›Bring mich dorthin, wo ich mich ein wenig ausruhen kann!‹
    Wir führten ihn also zum Rathaus, an zwei verbrannten Häusern und dem geplünderten Herrensitz de Vielles vorbei. Beim Vorbeireiten fragte der Fürstbischof:
    ›Lebt Herr de Vielle?‹
    Worauf Thomas, der das Pferd des Bischofs am Zügel führte, mannhaft erwiderte:
    ›Herr de Vielle lebt nicht mehr; er fiel dem großen Zorn in Arras zum Opfer.‹
    Der Fürst nickte mit dem Kopf, sein Gesicht verdüsterte sich, und er fragte nun nichts mehr…«
    Soweit die Schilderung Pierre de Moyes’, der in jener Nacht unter den Ratsmitgliedern weilte.

I M N AMEN DES V ATERS UND DES S OHNES UND DES H EILIGEN G EISTES. A MEN . Ihr Herren! Stellt euch vor, was in diesen Männern vorging, die da am Tor Trinité warteten und später den Fürstbischof zum Rathaus begleiteten. Zweifellos begriffen sie schon bei der Nachricht von Davids Erscheinen, daß nichts sie zu retten vermochte – ja, daß sie den ganzen Höllenspuk auf sich zu nehmen hatten.
    Wenn ein Mensch Gutes oder Böses tut, kann er dabei von der Gnade Gottes oder von der Versuchung des Satans gelenkt sein. Aber in der Stunde, da er zahlen muß für seine Taten, bleibt er allein mit sich, verlassen von Himmel und Hölle. So also schritt auch der Rat von Arras zum Tor Trinité und trug alle begangenen Verbrechen auf seiner Schulter. Doch niemand zeigte Furcht, niemand flehte um Erbarmen, aber auch niemand leugnete das Geschehene. Und sie hätten es ohne weiteres tun können, ja, ganz sicher! Zumal sie sich in jenen grausamen Tagen auf ihren Glauben berufen hatten – vor dem Angesicht des Fürsten hätten sie getrost dasselbe tun können! Und doch haben sie es nicht getan. Offenbar war all ihr Glaube dahingeschwunden, und nun ganz zum Schluß begriffen sie, daß der Herrgott gemeinsam mit dem Teufel ihrer spottete und sie der Welt zum Gelächter preisgab. Tage und Nächte hatten sie den Schild der Vorsehung in Händen gehalten, im festen Vertrauen darauf, daß er sie vor allem schützen würde. Doch als sich dieser Schild als ein gewöhnlicher, von unschuldigem Blut durchtränkter Leinenlappen erwies, warfen sie ihn weit von sich, um einsam ihrem Los die entblößte Stirn zu bieten.
    Was heißt schon, daß sie schuldig waren, wenn sie in solcher Verzweiflung schuldig waren – und das noch jeder für sich allein? Eine größere Strafe, als einsehen zu müssen, wie sehr sie von den angeblichen Vorherbestimmungen betrogen worden waren, von denen sie sich guten Glaubens hatten leiten lassen, konnte es für sie nicht geben. Beim Tor Trinité standen sie nackt und bloß und so verwundet, daß sie schon nicht mehr demütig ihre

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