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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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schlapp. Schwer ließen sie sich auf den Bänken nieder und sagten kein Wort. Albert, der schon damals todkrank war – von der Wassersucht völlig entstellt –, sagte:
    »David kommt zu Gast und heißt uns die Tore aufmachen. Seine Boten warten beim Tor Trinité. Er selber, eine Stunde Wegs von Arras entfernt, eilt uns in schnellem Marsch entgegen. Beratet, was zu tun ist!«
    Noch immer schwiegen sie, und Albert fügte ruhig hinzu:
    »Wir dürfen uns nicht gegen den Fürsten verteidigen. Das wäre die ärgste Sünde. Und noch das sage ich euch, daß wir dem Druck nicht standhalten würden.«
    Wenn de Moyes nicht gelogen hat und es so war, wie er sagt, muß man ehrfurchtsvoll das Haupt vor diesem Rat beugen. Niemand fluchte, niemand weinte. Schweigen herrschte unter ihnen. Schweigend sahen sie einander an.
    »Jetzt ist es an uns, zu sterben!« sagte ernst der Wagner Thomas. Der Tuchmacher Yvonnet pflichtete ergeben bei. Sie waren sehr blaß und einen Moment lang wie erstarrt. Vielleicht warteten sie auf ein Wunder. Aber nichts geschah.
    Ich bedauere, daß ich sie damals nicht gesehen habe. Pierre de Moyes berichtete mir von dem Vorgefallenen in folgenden Worten:
    »Man hörte den Ratsdiener sich bei den Hühnerställen zu schaffen machen. Irgendein Federvieh gackerte im Hof, und wieder war es still. Offenbar hatte der Ratsdiener das Huhn erwischt und wieder zwischen die anderen gesteckt. Der Lahme Thomas sagte: ›Rat, halte den Hals bereit fürs Schwert!‹
    Aber die anderen schwiegen wie bisher.
    Da ließ sich Albert vernehmen: ›Beten wir um die göttliche Barmherzigkeit!‹ Worauf Thomas ruhig entgegnete: ›Herr Albert, es gibt keinen solchen Gott, der uns verzeihen würde…‹
    Und wieder ließ sich der ehrwürdige Vater vernehmen: ›Gott ist einer und ewig derselbe!‹ Worauf Yvonnet erwiderte: ›Laß uns mit deinen Unterweisungen zufrieden, Vater. Wir sind ihrer nun leid!‹ Aber er sagte das sehr ruhig, ohne zu klagen.
    Die Zeit verrann. Sie saßen schweigend und bereiteten sich aufs Sterben vor. Nicht zu glauben, wieviel Würde in ihnen war und wieviel Schicksalsergebenheit.
    Da auf einmal drang Lärm vom Hof herauf, und der Ratsdiener stürmte in den Saal: ›Sie melden vom Tor Trinité, daß der Fürst heranrückt. Sie wissen nicht, was sie tun sollen.‹
    Daraufhin blickte Albert einen nach dem anderen an und sagte: Entscheidet euch, Bürger, es ist Zeit!‹
    Als erster erhob sich Thomas von der Bank. Alle richteten die Augen auf ihn, obschon sie im voraus wußten, was sie zu hören bekommen würden. Thomas legte die Hand auf den Adamsapfel, schloß die Augen und sprach: ›Man muß dem Fürsten die Tore öffnen!‹
    Nach ihm ergriff Yvonnet das Wort: ›Öffnet die Tore! Und gehen wir, uns vor dem Fürsten zu verneigen, wie es sich geziemt…‹
    Andere sprachen dasselbe. Als die Reihe an mir war, brachte ich keinen Ton heraus, sondern nickte bloß mit dem Kopf, aber Thomas sagte leise und mit großer Ruhe: ›Herr de Moyes, bewegt die Zunge wie die anderen auch! Ihr wäret immer ein großer Schweiger, also droht euch, so Gott will, bloß die körperliche Züchtigung und die Verbannung, nichts weiter, also sprecht laut!‹
    Wieder nickte ich und sagte, daß die Tore geöffnet werden müßten. Darauf lief der Diener aus dem Saal, und wir alle, Albert voran, folgten ihm nach.
    Die Stadt lag in tiefem Schlummer, ohne Ahnung, was ihrer harrte. Ich stützte Albert von rechts, der Faßbinder Nort von links. Der Vater schleppte sich nur noch mühsam fort, so schwach war er und schwer von dem Wasser, das in ihm schwabbelte. Wir gingen schweigend, und jeder dachte nur an das eine. Aber ich sah niemand beten.
    Beim Tor hatten sich bereits einige Wachen eingefunden, alle verstört. Von jenseits der Mauern hörte man Getümmel von vielen Bewaffneten, das Schnauben von Pferden und ungeduldige Zurufe. Ich erklomm einen der Wachttürme und schaute herab, bis mir schwindlig wurde. Soweit das Auge reichte, Fackeln auf den Mauern und in ihrem Schein eine große Schar Ritter hoch zu Roß und in Rüstungen. Dort, wo die größte Fackel brannte, erblickte ich Fürst David auf einem braunen Reitpferd. Der Fürst war ohne Rüstung, er trug nur Mantel und Hut. Als ich vom Turm herabstieg, war man gerade dabei, das Tor Trinité zu öffnen. Der Rat stand schweigend, im Schein einer einzigen Fackel. Eisen klirrte, als die Wache den ersten Torflügel auftat. Dann ertönte das langgezogene Kreischen der Haspelradkette, und die

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