Eine Nacht in Bari
heute noch ältere Leute (viele noch dieselben wie vor dreißig Jahren), und sie spielen immer noch hauptsächlich Karten.
Es gab auch ein paar Nachtlokale, die als verrucht galten und wo man sich verschiedenen Lastern hingab, von denen man im Strafgesetzbuch liest. Wir wären dort niemals hineingekommen – selbst wenn wir es gewollt hätten.
Dann gab es natürlich noch die Diskotheken. Sie waren nur am Wochenende geöffnet und hatten ziemlich peinliche Namen – Rainbow, Snoopy, Cellar, Merendero, Privé. Ich mochte sie nicht: teils aus nicht ganz klaren
ideologischen Gründen, teils weil mein Tanzstil an den einer Robbe erinnerte und das meinem Ansehen nicht gerade zuträglich war.
Es waren Orte voller Zigarettenqualm, mit dröhnender Musik; die Jungs verströmten Patschuli-Schwaden, die Mädchen Charlie-Wolken, und obwohl es merkwürdig erscheinen mag, waren das keine Lokale, wo man ein Bier trinken, sich unterhalten, herumalbern und bis zur Morgendämmerung herumsitzen konnte. Bis zum Ende des Jahres 1979 gab es in Bari überhaupt keine solchen Lokale. Das war auch einer der Gründe, weshalb ich davon träumte, wegzugehen, mir ein freieres Leben und freiere Orte zu suchen, die besser zu mir passten, wo ich ich selbst sein und meine Persönlichkeit entfalten könnte. Damit meinte ich mein künstlerisches Temperament, das vielleicht ein wenig aufgesetzt, aber durchaus zu kreativen Höhenflügen fähig war, und mein Wesen, das zu alkoholischen Exzessen neigte, zu Schlägereien und vor allem zu galanten Abenteuern mit Frauen, die wiederum sehr interessiert an diesen Abenteuern waren.
Ich schwöre, dass ich diesen Mist tatsächlich dachte, wenn ich, Ende der Siebzigerjahre als Jüngelchen von siebzehn, achtzehn Jahren, abends nach Hause kam.
Ein paar Tage vor Silvester 1980 machte in der Via Netti, im tiefsten, stinkenden und unheimlichen Herzen des Stadtteils Libertà die »Taverna del Maltese« auf. Danach wurde vieles anders.
Die Taverna del Maltese war ein Underground-Lokal im wahrsten Sinne des Wortes: Sie befand sich in einem Kellergewölbe. Man stieg eine steile Treppe hinunter, die
zu einer Art Eingangsbereich führte; von dort ging es weiter in einen L-förmigen Raum. Dort standen ein paar aus Holz gezimmerte Tische, an den Wänden hingen Plakate, und es gab Regale mit Brettspielen. In der Mitte befand sich der Tresen, auf der einen Seite eine kleine Bühne mit einem Klavier (das allerdings ziemlich verstimmt war). Die Taverna del Maltese machte um neun Uhr abends auf und zu undefinierbaren und unvorhersehbaren Zeiten wieder zu, manchmal mitten in der Nacht, manchmal erst im Morgengrauen.
Wie atemberaubend neu das war, für Bari und für uns, ist nicht leicht zu erklären. Es ist nicht einmal mehr leicht, sich heute daran zu erinnern.
Die Taverna del Maltese und all das, was kurz darauf in diesem Zusammenhang entstand, brach in unsere ruhigen, leeren Nächte herein und brachte eine nie dagewesene Menge von nächtlichen, unterirdischen, heiteren, listigen, tragischen, lächerlichen, teilweise auch genialen Gestalten hervor.
Es waren Künstler, Schläger, Musiker, angehende Köche, angehende Richter, Romantiker, Tagediebe, Liedermacher, Schriftsteller, Trinker, Verrückte, Junkies, schöne Frauen, Magersüchtige, Huren, Dichter, Schwule, Lesben, Unentschlossene, Politiker, Punks, Verräter, Dealer, Nymphomanen, Schüler und Lehrer.
Ich bin kein großer Freund von Nostalgie, aber wenn ich ganz ehrlich bin, dann geht es mir schon nahe, wenn ich an gewisse Nächte im Maltese denke (wie das Lokal binnen kürzester Zeit nur noch genannt wurde) und an diese ganz spezielle Mischung aus alten Lederjacken,
Schals, Busen, Turnschuhen, Gerüchen, Bärten, Hintern, prompt enttäuschten Hoffnungen, Herzen, die darauf warteten, gebrochen zu werden, Geheimnissen, Liebesgeschichten, verborgenen Schicksalen. Gesichter und Illusionen, die die Zeit verschluckt hat.
Die Eröffnung des Maltese war eine Zeitenwende. Für unsere Nächte gab es von nun an ein Vorher und ein Nachher.
Als hätten sie sich heimlich abgesprochen, machte sich auf einmal eine große Schar von Personen, die einen Autor suchten oder zumindest eine Beschäftigung, die nicht allzu anstrengend war und die Möglichkeit zur Anmache bot, eifrig daran, jede erdenkliche Art von Lokalen und Bars zu eröffnen. Sie waren fast alle Variationen des einen Themas: Alternativer linker Verein, der jedoch der ganzen Stadt offenstand.
Alle wandten die Formel des
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