Eine Nacht wie Samt und Seide
zu ihm, fing seinen Blick auf und wurde langsamer. Sie blieben an dem Stall direkt neben Figgs’ stehen. Alle saßen ab, reichten ihre Zügel Dillons Burschen. Die beiden blieben bei den Pferden stehen, hielten die älteren Tiere so, dass man Belle nicht sehen konnte, während Russ, Pris und Dillon zur Ecke des Gebäudes gingen.
Nach einem kurzen Blick in alle Richtungen traten sie um die Ecke, blieben dann aber sofort stehen. Pris und Russ lehnten sich gegen die Seitenwand des Stalles, sahen wie ganz normale Stallburschen aus, die müßig darauf warteten, zur Arbeit gerufen zu werden. Dillon stand vor ihnen, plauderte augenscheinlich mit ihnen; der lange Umhang hing offen über seinen Schultern, sodass der weite Stoff Pris und Russ verdeckte. Von da, wo sie stehen geblieben waren, konnten sie die Vorderseite des Stalles sehen, aber leider nicht die Stalltüren, nur den Bereich direkt davor. Sie konnten es jedoch nicht wagen, sich einen besseren Platz zu suchen, weil dann auch sie besser zu sehen gewesen wären.
Außer dem Haupttor auf der Vorderseite, das auf die Rennbahn hinausging, hatte Figgs’ Stall wie die meisten anderen eine weitere Tür auf der Seite, etwa fünfzehn Schritt von der Stelle, wo sie standen. Ebenso wenig wie die Haupttore wäre diese Seitentür verschlossen - Feuer war eine zu große Gefahr, und Rennpferde waren zu wertvoll, was auch der Grund war, weshalb die Ställe Nachtwachen anstellten und die Besitzer ihre Angestellten bei den Pferden schlafen ließen, wie Crom es letzte und vorletzte Nacht getan hatte.
Über seine Schulter blickend, suchte Dillon den Bereich vor dem Stall mit den Augen ab und sah zwei seiner Reitknechte vorüberschlendern, bereit, im Notfall einzugreifen. Barnaby müsste in der Verkleidung eines Pferdewetters auf der Suche nach entscheidenden Hinweisen im Schatten des nächsten Stalles stehen und alles beobachten. Seine Aufgabe bestand darin, jegliche Ablenkungsmanöver herbeizuführen, die vielleicht nötig wurden, um Crom und den Nachtwächter lange genug von Figgs’ Stall fernzuhalten, dass Pris Zeit hatte, Belle zurückzutauschen und mit dem anderen Pferd zu entkommen.
Sie standen alle bereit, warteten darauf, zu beginnen - jetzt mussten nur noch Crom und der Nachtwächter aufwachen und den Stall verlassen.
Dillon verspürte eine gewisse Ungeduld in sich aufwallen, an seinen Nerven zerren. Dieselbe Spannung nahm er in Pris und ihrem Bruder wahr, aber jetzt war der Zeitpunkt, wo Vorsicht walten musste, wo ein Moment der Unaufmerksamkeit oder eine impulsive Tat den ganzen Plan zum Scheitern bringen konnte.
Um sie herum erwachte die Umgebung der Rennstrecke zum Leben. Der Himmel wurde immer heller, das Dunkelgrau der Morgendämmerung wich Rosa- und Silberstreifen, die die aufgehende Sonne unter die Wolken malte. Das Licht nahm zu, die Sonne schien noch nicht, aber es reichte, die Szenerie klar erkennen zu können.
Die Schatten waren fort. Aber sie warteten weiter.
»Endlich«, hauchte Pris und spähte über seine Schulter. »Da geht der Nachtwächter.«
Dillon sah sich um; es stimmte, der Nachtwächter, ein grauhaariger Jockey-Veteran, der zu alt war, noch zu reiten, kam aus dem Stall geschlurft, kratzte sich, reckte sich und gähnte. Auf dem Vorplatz blieb er stehen, schaute sich um, dann entfernte er sich in Richtung der nahen Latrinen.
Dillon warf einem der Müßiggänger - die Mehrheit der Leute, die sich in der Nähe von Figgs’ Stall aufhielten, waren Mitglieder ihrer kleinen Gruppe - einen Blick zu und bemerkte, dass der zu Barnaby schaute, ehe er sich von der Wand abstieß, an der er gelehnt hatte, und dem Wächter folgte.
Wenn der alte Junge zu seinem Posten zurückkehrte, ehe sie das Zeichen gegeben hatten, dass die Luft rein war, würde der Mann ihn aufhalten, und wenn das nicht lange genug dauerte, gab es noch zwei Burschen, die in der Nähe der Latrinen stationiert waren und Order hatten, gegebenenfalls einzugreifen.
Der Nachtwächter war versorgt.
Dillon drehte sich zu Pris und Russ zurück. »Jetzt kommt nur noch Crom.«
Es war noch früh; selbst für einen Renntag; außer denjenigen, die unbedingt einen Blick auf die Rennpferde werfen wollten, wenn sie in den Unterständen eintrafen - und die waren voll und ganz damit beschäftigt, die Cynster-Pferde zu begutachten -, waren alle anderen noch müde und begannen gerade erst ihren Tag. Sie waren nicht wirklich wach und daher nicht wachsam.
»Verdammt!«, fluchte Russ und versteifte sich.
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