Eine Nacht wie Samt und Seide
weitere Ermutigung. Er brachte sie zu seinem Büro.
Ihren Ellbogen loslassend schloss er die Tür, dann ging er zu dem großen Fenster. »Bleib dort, wo du bist.«
Er zog die schweren Vorhänge zu und tauchte damit den Raum in völlige Dunkelheit, aber er kannte das Zimmer wie seine Westentasche. Er trat an den Schreibtisch, nahm die Zündschachtel, die neben seiner Schale mit den Federhaltern lag, und schlug einen Funken.
Damit entzündete er die Lampe auf der Schreibtischecke, drehte den Docht zurück und stülpte den Glaszylinder wieder darüber. Licht erhellte den Raum. Er sah, dass sie zu dem Regal gegangen war und sich die Rücken der Bände anschaute. »Es ist der fehlende Band.«
Auf dem dritten Regalbrett war eine Lücke. Sie drehte sich mit hochgezogenen Brauen zu ihm um.
»Er befindet sich im Kanzleizimmer. Warte hier, ich hole ihn.«
Pris betrachtete das Regal mit einem Stirnrunzeln. »Gibt es nur ein Buch?«
Er war schon fast an der Tür angekommen, blieb stehen und drehte sich zu ihr um. »Musst du bloß irgendeinen Band von dem Register sehen, oder suchst du einen bestimmten?«
Sie starrte ihn an. Sie hatte keine Ahnung.
Er seufzte, dann erklärte er: »Jeder Band des Abstammungsregisters listet die Pferde eines Jahrgangs auf, die für Rennen unter dem Reglement des Jockey-Clubs gemeldet sind. Pferde dürfen erst Rennen laufen, wenn sie mindestens zwei Jahre alt sind, sodass das Register dieses Jahres alle Tiere aufführt, die zum ersten Mai - das ist offiziell der Geburtstag für alle Pferde - zwei Jahre alt sind und damit starten dürfen. Das letztjährige Register enthält die Pferde, die nun drei Jahre alt sind, und alle Neunennungen, die jetzt drei Jahre alt sind, werden dem Register hinzugefügt.«
Eine steile Falte erschien auf ihrer Stirn. »Dann müsste eigentlich irgendein Band ausreichen, aber vielleicht ist der jüngste doch am besten.«
Worin auch immer Russ verwickelt war, war eine aktuelle Angelegenheit, daher würde wohl im letzten Band das stehen, wonach er suchte.
Dillon betrachtete ihr Gesicht, dann nickte er und verließ das Zimmer.
Pris schlenderte zum Schreibtisch zurück, ließ den Schal von ihren Schultern rutschen, faltete ihn zusammen und legte ihn zur Seite. Es war nicht kalt. Das Prickeln ihrer Haut, das Zittern ihrer Nerven ging auf Vorfreude und gespannte Erwartung zurück.
Innerhalb weniger Minuten würde sie sehen, was Russ so dringend herausfinden wollte. Sie verschränkte die Arme und starrte blicklos auf den Schreibtisch, sie betete darum, dass sie aus den Informationen ableiten könnte, welcher Gefahr Russ gegenüberstand.
In Gedanken ging sie noch einmal die jüngsten Ereignisse durch, die gestern Nacht in ihrem Stelldichein mit Dillon kulminierten.
Ihre ruchlose Entjungferung, wenn auch für einen guten Zweck.
Ihre Lippen zuckten; sie weigerte sich zu behaupten, dass sie sich Dillon Caxton geschenkt hatte, um das schwer zugängliche Register sehen zu können und so ihren Zwillingsbruder zu retten.
Sie bereute nur, dass Dillon genau das glauben musste.
Nur eine kurze Erinnerung, und schon fühlte sie wieder die Spannung, den Nervenkitzel und die Aufregung der vergangenen Nacht, den Sturm, den sie erschaffen und entfesselt hatten. Das sinnliche Teilen, die Lust und das Vergnügen.
Sie blickte zur Tür; in der Ferne hörte sie, wie sich eine andere Tür schloss.
Sie atmete tief ein, stieß den Atem langsam wieder aus. Lug und Betrug und selbst Irreführung durch Verschweigen irgendwelcher Tatsachen waren ihr noch nie leichtgefallen; einzig der Umstand, dass es um Russ ging, hatte es ihr erlaubt, ihren Vater so dreist zu täuschen und Eugenia und Adelaide in ihren Plan einzubeziehen. Sie war so selbstsicher, ihre Ansichten offen zu vertreten; sie hatte immer von der Welt erwartet, mit ihr zurechtzukommen, so wie sie war.
Lange männliche Schritte kamen stetig näher.
Sie starrte auf die Tür. Zuzulassen, dass Dillon ihre wahren Gefühle erriet und weswegen sie sich ihm so vorbehaltlos geschenkt hatte, wäre nicht klug. Ihr Instinkt sagte ihr das ganz unmissverständlich; und ihr Verstand pflichtete dem bei. Wenngleich sie keine konkrete Vorstellung hatte, wie er reagieren würde. Sie wusste ja noch nicht einmal sicher, was sie wollte, dass er tat.
Die Türklinke senkte sich. Sie nahm die Arme herunter, richtete sich auf. Sie war hier, um sich das Register anzuschauen und herauszufinden, was Russ’ Problem war. Dann musste sie einen Weg finden,
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