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Eine private Affaere

Eine private Affaere

Titel: Eine private Affaere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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Ihrer Position?«
    George verbrachte manchmal Tage damit, sich die richtigen Fragen auszudenken, doch die Wirkung dessen, was er gerade gesagt hatte, hatte er nicht vorhersehen können. Mein Wille war gelähmt; seine Gegenwart bedrückte mich wie die eines übermächtigen Vaters.
    »Alles in Ordnung? Das Schwein hat Ihnen doch gestern abend nichts in den Drink getan, oder? Wissen Sie, er würde alles tun, um Sie zu kompromittieren.«
    »Ich glaube, ich hab’ ziemlich viel getrunken.«
    Er grunzte etwas. Es herrschte Schweigen, während er an seiner Pfeife zog.
    »Sie kennen doch genug solche Jungs, wie kommen Sie nur auf die Idee, einen von denen bessern zu wollen?«
    »Er versucht, sich zu ändern. Ich hab’ noch nie jemanden erlebt, der sich soviel Mühe dabei gibt.«
    George schüttelte den Kopf. »Im Moment. Es ist erbärmlich; es ist, wie wenn man ein Tier in der Falle beobachtet. Wohlmeinende Leute machen diese Falle nur größer. Sie eröffnen ein paar neue Möglichkeiten, ein neues Hamsterrad, einen Weg, der nur in einen anderen Teil der Falle führt. Sie machen das, um ihr Gewissen zu beruhigen; der Gedanke, daß ihr eigenes Glück darauf basiert, Leute wie Oliver Thirst kaputtzumachen, gefällt ihnen nicht. Mich bezahlen sie dafür, daß ich dieses Kaputtmachen übernehme. Ich finde das zum Kotzen. Wenn’s nach mir ginge, würde man Leuten wie Thirst die Stirn tätowieren, sie öffentlich auspeitschen. Die Gesellschaft hat sich nicht sonderlich verändert seit der Zeit, als man das noch gemacht hat, wissen Sie; die Leute sind nur zimperlicher geworden. Statt Fesseln und Folterknechten gibt’s heute Librium und Psychiater. Letztendlich läuft das aufs gleiche hinaus, weil Thirst sich wünscht, so wie Sie oder ich zu sein. Aber das kann er nicht; er hat eine Krankheit, die ihn anders macht.«
    »Eine Krankheit?«
    »Kriminalität. Sie ist wie Lepra, eine schleichende Krankheit, die die Leute von innen auffrißt, Stückchen für Stückchen. Man muß sie nur so lange im Zaum halten, bis die Krankheit ihre Arbeit getan hat und sie zusammenbrechen. Für ihren harmlosen letzten Atemzug kann man sie herauslassen. Ideal ist es, wenn jemand völlig ausgebrannt ist. Dafür ist das Gefängnis da – um sie zu schleifen, sie vor der Zeit alt und nutzlos zu machen, sie zu institutionalisieren. Um sie zu zerbrechen.«
    »Aber Thirst ist nicht zerbrochen.«
    »Tja, sein Pech. Sie haben ihn zu früh rausgelassen – das passiert ziemlich oft. Aber wir schnappen ihn, wieder und wieder. So oft, bis sein Rückgrat gebrochen ist. Ist menschenfreundlicher, wenn man ihnen gleich am Anfang das Rückgrat bricht – man schlitzt ihnen die Nase auf, schneidet ihnen die Lippen ab –, aber wir sind zu zimperlich, wir lassen die Zeit für uns arbeiten. Für einen Mann im Gefängnis ist die Zeit wie ein Haufen Steine auf seiner Brust. Jede neue Haftstrafe ist wie ein neuer Stein, und irgendwann kann er nicht mehr atmen. Die Methode ist die grausamste überhaupt, aber wir wenden sie an, weil man die Zeit nicht sehen kann. Die BBC kann keinen Dokumentarfilm drüber machen, der Guardian kann die Leiden, die sie verursacht, nicht beschreiben – denn sie ist unsichtbar. Die Liberalen können nichts dagegen sagen. Und Thirst weiß das.«
    »Ja, wahrscheinlich. Aber er kämpft. Er sagt, er würde lieber sterben als wieder ins Gefängnis.«
    George hob die Schultern und breitete die Hände aus. »Dann soll er sterben!«
    »Aber jemand hat ihm Hoffnung gemacht.«
    »Die Wohlmeinenden. Leute, die nie erwachsen werden, die die Welt nicht so sehen, wie sie wirklich ist. Sie wünschen sich die Welt als gepolsterten Laufstall, in dem letztlich nichts Schlimmes passieren kann. Aber Sie wissen’s besser. Ich hab’ mich schon mal von Ihnen ins Kreuzverhör nehmen lassen. Sie haben Killerinstinkte.«
    »Und in Ihrem System gibt’s keine Rettung?«
    »Die Rettung ist nur so etwas wie ein kindersicheres Spielzeug in dem gepolsterten Laufstall. Vielleicht sind Sie noch nicht alt genug, um mir da zuzustimmen; Sie haben den Liberalismus noch nicht ganz hinter sich gelassen. Aber ich glaube, lange wird’s nicht mehr dauern. Sie sind nicht der Typ für den Laufstall.«
    Die Wirkung der Droge hatte vollends nachgelassen, als wir in Sheffield ankamen, und mein Kopf war absolut klar, wie es manchmal passiert, wenn der Körper völlig ausgepumpt ist. Es war feucht und deutlich kühler, als wir zu dritt den Bahnsteig entlanggingen. Da wir in

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