Eine riskante Affäre (German Edition)
da er sie hatte. Sie wollte ihn nicht bei seinen Überlegungen stören.
Die Zeit verstrich. Es hatte sich herumgesprochen. Männer kamen in Zweier- oder Dreiergrüppchen herein, setzten sich auf die Bänke oder reihten sich an der Wand auf. Die meisten von ihnen kannte sie aus der Zeit, als sie noch ein Kind gewesen war. Freunde, wie sie sie genannt hatte.
Es waren Lazarus’ Diebe. Einige von ihnen waren sehr fingerfertig oder auf Einbrüche spezialisiert. Andere waren brutale Scheusale, die ohne Sinn und Verstand Menschen in einer Gasse zusammenschlugen. Sie trugen Lumpen oder billige Glitzerjacken oder kleideten sich so manierlich wie Quäker. Ein oder zwei steckten in Brokatwesten und der feinen Kleidung eines Gentlemans.
Sie räumten den Saal für das, was jetzt kam. Dafür weckten sie die Dirnen mit Fußtritten und scheuchten sie nach draußen. Auch der bunte Haufen aus kleinen Kindern, Taschendieben und anderen Langfingern wurde vor die Tür gesetzt. Es herrschte Stille, abgesehen von dem an- und abschwellenden Geflüster, das an schmutzig schäumende Wellen erinnerte, die sich auf Kieselsteinen brachen. Jetzt waren nur noch Männer da, Männer und ein paar streng blickende Frauen. Dies war die Bruderschaft. Sie waren gekommen, um zu sehen, was Lazarus mit ihr machen würde.
Der beendete seine Geschäfte und wechselte ein paar Worte mit Black John. Mit einer Geste rief er das schwangere Mädchen zu sich, das sofort aufs Sofa zurückhuschte, nachdem es ihm einen Beutel Walnüsse gebracht hatte.
Anscheinend war Lazarus mit seinen Überlegungen fertig. Das Flüstern erstarb. Erwartungsvolles Schweigen legte sich über den Raum. Jess blieb auf den Knien und wartete ab. Eine Zeit lang aß Lazarus Walnüsse, indem er sie zu zweit mit der bloßen Hand knackte, die Nuss herausnahm und die Schalen zu Boden fallen ließ.
»Erinnerst du dich an die Strafe, die auf das unerlaubte Verlassen der Bruderschaft steht, Jess?«, fragte er leise.
»Ja, Sir.«
»Wie lautet sie?«
»Tod.«
Ein Raunen ging durch den Raum. Lazarus knackte noch eine Nuss. Er hatte starke Hände.
Sie kannte Lazarus so gut wie jeder andere hier. Einst hatte sie seinen Befehlen gehorcht wie alle in diesem Raum. Sie wäre für ihn gestorben, hätte er sie dazu aufgefordert. Vor zehn Jahren war Papa aus Frankreich gekommen und hatte sie ihm weggenommen. Seitdem hatte sie Lazarus nicht mehr gesehen.
»Bist du es leid zu atmen?«
»Nein, Sir.« Das Leben erschien ihr schön, auch in diesem Moment, ganz gleich, unter welchen Umständen. Sie hatte gesehen, wie ein Mann wegen Verlassens der Bande exekutiert worden war. Dazu hatte die Bruderschaft Messer verwendet, und es hatte die ganze Nacht gedauert.
»Dann erklär mir mal, warum du hier bist.«
Einst hatte sie hinter ihm gesessen, dort, wo jetzt der Junge war, und dabei zugesehen, wie Lazarus Leute zum Spaß quälte, von denen nicht wenige am Ende tot waren. »Sie wissen, warum, Sir. Wenn irgendjemand in dieser Stadt weiß, was mit Papa geschehen ist, dann Sie.«
»Du glaubst, es würde mich irgendwie interessieren, was mit Josiah Whitby passiert?«
»Nein, Sir«, antwortete sie schnell.
Lazarus stand auf und näherte sich ihr. Jess hörte, wie seine Stiefel an ihr vorbei und um sie herum traten. Sie hatte ganz vergessen, wie sich die Angst vor Lazarus anfühlte. War schon Jahre her, dass sie sich vor ihm gefürchtet hatte.
»Bist ein hübsches Ding geworden.« Er stand hinter ihr und sprach mit leiser Stimme. »Das hätte ich nicht erwartet. Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du hässlich wie die Nacht.«
Dazu gab es nichts zu sagen. Sie schluckte und verharrte regungslos.
»Du hast lange gebraucht, um wieder herzufinden. Ich schätze, du warst sehr damit beschäftigt, Geld in aller Welt zu verdienen.«
Sie spürte seine Hand auf der nackten Haut ihres Nackens und erstarrte. Eis bohrte sich durch ihr Innerstes. Auf diese Weise brachte er Leute um, mit bloßen Händen, indem er ihnen mit einem kurzen Ruck den Hals verdrehte. Ein paarmal hatte sie dabei zugesehen, wenn er ein Exempel an Männern statuiert hatte, die einen Kameraden bei den Hütern des Gesetzes verpfiffen oder dummerweise versucht hatten, ihn zu verraten. Sie hatte zugesehen, wie sie laut flehend und Erklärungsversuche stammelnd hergeschleift worden waren.
Er spielte mit ihnen, ehe er sie umbrachte, ließ sie betteln. Bei ihr jedoch würde er es kurz machen. Ohne Warnung. Bei ihr würde er Gnade zeigen. Es
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