Eine Rose fuer Captain Sparhawk
stand. Sie muss ein Geist sein.
Aber wie konnte sie auch ein Geist sein, wenn sie doch dem anderen, richtigen Geist so ähnlich war?
Sie musste Lilys Schwester sein, natürlich. Wenn er noch weiter darüber nachdachte, würde er den Verstand verlieren. Die herrliche Prise, die Lily versprochen hatte, der unglaubliche Kurs auf der Seekarte, dem er widerstrebend gefolgt war, und die beschämend leichte Kaperung des englischen Handelsschiffes – all das hatte Lily sich ausgedacht, um ihre Schwester hierherzubringen.
Nun war es nicht so, dass sie wie Lilys Zwillingsschwester wirkte, weit davon entfernt. Dieses Mädchen war kleiner, sie reichte ihm nicht einmal bis zur Schulter. Ihr dunkles Haar war straff aus ihrem blassen, ernsten Gesicht frisiert, und obwohl der Schnitt ihrer Augen dem von Lilys glich, waren sie nur von einem fahlen Grau.
Das scheußliche schwarze Gewand, das sie trug, raubte ihrem Gesicht jede Farbe und verbarg die weiblichen Rundungen, die sie vielleicht besaß, unter seinen steifen, salzwassergetränkten Falten. Sie hatte nichts von Lilys Heiterkeit, nichts von ihrem neckenden Charme, aber dennoch war die Ähnlichkeit in der Form ihres Gesichts und der Art, wie sie das Kinn hob, um mit ihm zu sprechen, anrührend und verblüffend.
Und ähnlich war sie Lily auch in dem, wie viel sie sprach.
„Es ist mir egal, ob Sie darauf gekommen sind oder nicht, Captain Sparhawk“, sagte Rose. „Es ist die reine Wahrheit. Ich gehe davon aus, dass Sie inzwischen die Papiere meines Vaters so weit durchwühlt haben, um seinen Namen zu kennen, und man braucht nicht sehr klug zu sein, um den Rest festzustellen.“
Rose seufzte. Sie hatte nicht erwartet, dass der Mann höflich sein würde, aber sie hatte gehofft, dass er ihr zuhören würde. Doch das tat er nicht. Er gab es nicht einmal vor, sondern sah sie nur mit finsterer Miene an.
„Es ist die Wahrheit“, sagte sie noch einmal in der Hoffnung, dass eine Wiederholung ihre Worte bis zu ihm durchdringen würde. „Und dieses Schiff …“
„Sie sind Lilys Schwester“, sagte Nick auf einmal und trat zu ihr. Bevor sie reagieren konnte, hatte er nach ihrem Kinn gefasst und ihr Gesicht so gedreht, dass er es gut sehen konnte. „Sie können keine andere sein.“
Sofort wich Rose zurück. Seine Berührung schien ihre Haut verbrannt zu haben. „Wie können Sie es wagen?“, keuchte sie.
Und ohne auch nur einen Gedanken an die Konsequenzen zu verschwenden, reckte sie sich und schlug ihm, so fest sie konnte, ins Gesicht.
Nick zuckte nicht einmal, obwohl seine Wange höllisch brannte. Er hatte nur wissen wollen, ob sie wirklich war, oder ob er sich ihre Erscheinung auch nur einbildete. Er hatte sie nicht in Verlegenheit bringen wollen. Jetzt aber, das wusste er, wartete jeder Mann an Deck darauf, dass er sie zumindest über Bord werfen würde dafür, dass sie den Kapitän geschlagen hatte. Verdammt, warum musste sie ihn auch vor der gesamten Mannschaft ohrfeigen?
„Freches Ding“, sagte er scharf und so laut, dass jeder es hören konnte. „Ich sollte Sie dafür hängen lassen.“
Aber sie war noch immer zu wütend, um sich darum zu kümmern. „Ich werde es wieder tun, wenn Sie es wagen, mich zu berühren!“
„Ich musste wissen, ob Sie aus Fleisch und Blut sind!“
Sie funkelte ihn aus ihren grauen Augen an. „Woraus sollte ich sonst sein? Gebäck und Tee?“
„So süß sind Sie nicht, wie ich vermute.“ Wenn er nicht aufpasste, würde er als nächstes etwas über Engel in seiner Kabine erzählen. „Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, Madam, und damit werden Sie auf Ihr Schiff zurückkehren.“
„Noch nicht.“ Sie schüttelte ihre Hand. Die Finger schmerzten noch immer von dem Schlag, den sie ihm versetzt hatte. Sie hätte ebenso gut einen mit Brennnesseln bedeckten Felsen schlagen können wie das Gesicht dieses Mannes. „Und Sie haben kein Recht, mir irgendwelche Befehle zu erteilen!“
„Sie vergessen sich, Madam. Und Sie vergessen auch, dass ich der Kapitän dieses Schiffes bin.“
„Sie sind aber nicht mein Kapitän.“ Sie sah zu ihm auf und wünschte sich, er würde zurückweichen. Für ihr persönliches Wohlbefinden war er noch immer zu nahe. Seine Größe und seine unleugbar männliche Ausstrahlung wirkten auf sie bedrohlicher als die Pistolen, die in seinem Gürtel steckten, oder als der Degen an seiner Seite. Kein Wunder, dass es ihr so schwerfiel, sich vernünftig zu verhalten. „Und ich bin noch nicht verheiratet, daher
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