Eine Rose im Winter
wie die Frau fast lautlos »Halsstarriger Balg!« zwischen den Zähnen hervorstieß.
»Madam? Haben Sie etwas gesagt?« fragte Erienne überrascht.
Anne sah sie mit großen, unschuldigen Augen und einem strahlenden Lächeln an. »Es war nichts, meine Liebe. Überhaupt nichts. Ich habe nur etwas vor mich hin gemurmelt. Sie wissen ja, so etwas kommt mit dem Alter … man spricht mit sich selber.«
Sie legte ihren Arm zärtlich um die jüngere Frau. »Meine Liebe, Sie müssen ja vollkommen verhungert sein nach dieser langen Fahrt, und die Männer haben uns wegen ihrer scheußlichen Geschäfte vollkommen allein gelassen. Wir werden zusammen eine Kleinigkeit essen und dann mit dem Wagen in die Stadt fahren. Es ist so ein wunderschöner Tag, und es wäre nicht zu entschuldigen, wenn wir ihn damit verbrächten, daß wir auf unsere Männer warteten. Und wenn wir es geschickt einrichten, können wir den ganzen Nachmittag wegbleiben.«
Und so geschah es. Erienne hätte es nicht für möglich gehalten, daß man sich so lange Zeit mit einer Fremden gut unterhalten könnte. Anne Leicester war in gleicher Weise anmutig und freundlich, wie sie sich auch geistreich und warmherzig zeigte. Ihr ungekünstelter Charme war ansteckend, und Erienne spürte, wie mit dem Lachen ihre Spannung mehr und mehr wich.
Der Abend verging in lockerer und angenehmer Stimmung. In Gegenwart des älteren Ehepaars erschien Lord Saxton etwas weniger furchterregend. Während des Essens gelang es Erienne sogar, unter seinem starren Blick die Ruhe zu bewahren. Wie gewohnt, hielt er sich von Essen und Trinken bei Tisch fern, um später allein in seinem Zimmer zu speisen. So konnte er ihr seine volle Aufmerksamkeit zuwenden.
Es war ziemlich spät, als sie sich zurückzogen, und angenehm beschwingt von dem genossenen Wein war es Erienne, als ob sie sich ohne Anstrengung in Richtung ihres Zimmers bewegte. Sie spürte, wie ihr Mann mit seinem ungelenken Gang folgte, doch seit ihrer Ankunft bei den Leicesters war ihre Angst geringer geworden, und das Geräusch seiner Schritte weckte nicht mehr die früheren Ängste.
Es war Lord Saxton, der eine wachsende körperliche Unruhe verspürte, während er das sanfte und verführerische Schwingen ihrer Hüften und die unglaublich schmalen Kurven ihrer Taille bewunderte. Er war fast an der Grenze seiner Beherrschung und ahnte, daß er sie bei einer neuerlichen Entkleidungsszene verlieren könnte und suchte seine Zuflucht in den angrenzenden Zimmern.
Während sie es sich im Bett bequem machte, mußte Erienne immer wieder an ihren gräßlich verunstalteten Ehemann denken, denn sie hörte das Geräusch seiner unbeholfenen Schritte, bis ihr die Augen zufielen. Träume umfingen sie und wanderten dahin wie Wolken, die draußen vor der Terrassentür dem Mond nachjagten. Zeitweise befand sie sich in einem ganz unbestimmbaren halbwachen Zustand, oder sie sank dann wieder in Morpheus' Arme, ohne je sicher zu sein, wo sie sich befand. Der Schein des silbern schimmernden Lichtes, das durch die Fenster drang, ließ Schatten über ihr Bett huschen und Bilder entstehen, die sich in ihre Traumerlebnisse einfügten.
Aus dem dichten Nebel ihres Bewusstseins bildete sich eine Gestalt, die wie ein Mann aussah, und daher mühte sie sich, Einzelheiten zu erkennen. Er stand groß und schweigend am Ende ihres Bettes, ohne Hemd, mit breiten Schultern und behaarter Brust, den Daumen des einen Armes zwanglos im Bund seiner Reithose und ließ den anderen Arm entspannt herunterhängen. Sein dunkles Haar war kurz geschnitten und zerzaust, sein Kinn schmal und fest, und es war ihr, als ob aus dem Schatten Blicke aus graugrünen Augen auf sie fielen. Die Erscheinung blieb bei ihr, unbeweglich und sie unverwandt ansehend. Sie drehte mit einem Seufzer den Kopf auf ihrem Kissen und spürte, wie er ihr näher kam. Seine Finger zupften an den Bändern ihres Nachtgewandes, und sie fühlte, wie die heißen, alles verschlingenden Flammen eines sehnsüchtigen Verlangens in ihr hochstiegen, als ein warmer Mund die sanfte Haut ihrer Brüste liebkoste. Ihr war, als ob eine vibrierende Hitze in ihren Schenkeln pochte und sich wie brennendes Öl in ihre Adern ergoss. Ein Gesicht war über ihr, und das plötzliche Erkennen des Mannes, den sie heraufbeschworen hatte, ließ sie mit einem unterdrückten Schrei im Bett hochfahren.
»Christopher!«
Erienne schreckte auf und starrte in die Schatten und die dunklen Nischen des Zimmers. Sie waren leer. Nichts bewegte
Weitere Kostenlose Bücher