Eine Rose im Winter
zählte besonders, daß er sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um Farrell und das Mädchen zu retten. Der Hass, der sie zurückgehalten hatte, war verschwunden und hatte sie schutzlos ihren sanften Gefühlen überlassen. Und da war ihre Liebe, diese furchterregende, gefährliche, überwältigende Leidenschaft die sich wie ein Tiger aus der Wildnis tief in ihrer Seele und ihrem Herzen eine Lagerstatt gesucht hatte und von dort ihre Entschlusskraft stets bedrohte.
Für den Rest des Tages blieb sie dem Zimmer des Herrn fern und ließ Bundy und Aggie ohne sie weitermachen. Beide versicherten ihr, daß das Fieber vergangen sei und die Wunde erstaunlich gut verheile. Beim Einbruch der Nacht war sie durch den Kampf der Gefühle, der in ihr tobte, so erschöpft, daß sie halbgelähmt ihr Bett aufsuchte. Sie betete, daß ihr Mann bald zurückkommen möge, um noch stärker als früher seinen Platz in ihren Gedanken einzunehmen und ein für allemal den Yankee zu vertreiben.
Von dem wärmenden Feuer halb eingeschläfert, ließ sie vor ihrem inneren Auge Erinnerungen vorbeiziehen, klare und verschwommene. Die Ereignisse der letzten Tage zeigten ihr das Bild einer Gestalt im weiten schwarzen Mantel mit einem unruhig stampfenden schwarzen Hengst. Plötzlich war da die dunkel gekleidete Erscheinung ihres Mannes, der sie aus dem eisigen Wasser des Flusses hob. Hinter ihm war der gleiche schwarze Hengst, und auf einmal war aus der Ledermaske eine Kapuze geworden.
Erienne hielt erschrocken den Atem an, rollte sich auf den Rücken und starrte mit großen Augen an den Betthimmel. Ihre Gedanken waren in wildem Aufruhr. War sie noch Herr ihrer Sinne? Oder hatte ihre Leidenschaft plötzlich Gesichter hervorgebracht, wo vorher keine waren? War es ein Traum? Ein Wunsch, geboren aus einem heißen Verlangen?
Ihre Gedanken suchten in der verschwommenen Erinnerung nach Klarheit. Es gelang ihr nicht, ein genaues Bild oder die Gestalt des Mannes in ihr Gedächtnis zurückzurufen, der sie aus dem Wasser gezogen hatte. Da war der Eindruck eines dunklen geflügelten Reiters, der von seinem scheuenden Pferd schwebte, doch während sie noch darüber nachdachte, fiel ihr ein, daß sie Stuart nie zu Pferd gesehen hatte. Der Verdacht, daß es Christopher gewesen sein konnte, stellte ihr eine neue Frage. Was hatte sie an dem gleichen Abend am Kaminfeuer gesehen? Die veranstaltete Statur eines verkrüppelten Mannes? Oder nur die etwas verzerrte Gestalt eines normalen Mannes? Wenn Christopher sowohl der nächtliche Reiter war als auch derjenige, der sie gerettet hatte, was war er dann noch? Sicher mehr als der forsche Liebhaber, der er immer zu sein schien.
Eine Angst begann von ihr Besitz zu ergreifen, doch sie verwarf den Gedanken als absurd. Obwohl Stuart sie immer nur im Dunkeln aufgesucht hatte, hatte sie sich doch eine Vorstellung von ihm gebildet, die vielleicht nicht ganz genau war, wo ihr der Anblick verborgen blieb, doch sonst durchaus vertraut: Ein verkrüppeltes Bein, ein vernarbter Rücken, eine heisere Stimme waren alles Teile dieses Bildes und hatten mit der eleganten Erscheinung von Christopher Seton nichts gemein.
In ihren Gedanken versuchte sie die Teile des Puzzles zusammenzufügen, doch es fand sich kein Teil, der zu einem anderen gepaßt hätte, um die Wahrheit besser erkennen zu können. Das langwierige Spiel des Zusammensetzens und ihre Müdigkeit ließen sie in einen erschöpften Schlaf sinken, in den sie zwar nicht von Alpträumen verfolgt wurde, sondern nur eine endlose Wiederholung von Fragen, Ängsten und Zweifeln sie aufwühlte.
Zwanzigstes Kapitel
Der Morgen kam wie schon seit vielen Jahren in Gestalt eines stürmischen Frühlingstages, der den schneidenden Sprühregen vor sich her peitschte. Die eiskalten Tropfen schlugen mit der vollen Kraft des Windes an die kristallenen Fenster, sprenkelten das Glas mit winzigen Juwelen der Nässe, während auf dem Dach die Ziegel klapperten, und die Dachrinne heulte, als die verspielten Böen ausgelassen umhersprangen.
Erienne erhob sich erfrischt und ging heiter ihrer Morgentoilette nach. Sie war dabei, ihr Haar zu bürsten, als beunruhigende Gedanken sie überfielen. Ihre Hand hielt mitten in einem Bürstenstrich inne, als Verwirrung die scharfen, hartnäckigen Krallen in ihre Gedanken senkte und somit die Stimmung für den Tag festlegte.
Die Entscheidung, der Sache auf den Grund zu gehen, wuchs in ihr; sie verließ ihre Zimmer und machte sich auf den Weg zum Schlafzimmer des
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