Eine Rose im Winter
schwach aus einer Pfütze von geschmolzenem Wachs vor sich hin. Sie zuckte zusammen, als sie mit ihren Füßen den kalten Fußboden berührte und suchte schnell die heimelige Wärme unter den Federdecken ihres Bettes. Ais sie sich hineinkuschelte, begann sich ein fester Entschluß in ihrem Kopf zu bilden. Am Morgen würde sie fliehen. Irgendwo würde es irgendjemanden geben, dem sie mit ihren sauberen und kunstvollen Schreibkünsten nützlich sein konnte oder mit der schnellen und leichten Art, wie sie mit Zahlen umzugehen verstand. Vielleicht könnte man diese guten Menschen dazu bewegen, ihr für das eine oder andere, oder beides einen Unterhalt zu zahlen. Eine verwitwete Herzogin oder eine Gräfin in London würde vielleicht eine Gesellschafterin brauchen. Mit diesen Hoffnungen im Herzen befreite sich Erienne von ihren Sorgen und überließ sich dem Schlaf.
Der Morgen brachte Schneeregen, der sich als feiner Nebel niedersenkte und schnell eine dünne, zerbrechliche Eisschicht auf die Straßen legte. Avery hatte in der Wirtschaft Zum Eber eine Pause eingelegt und sich einen Krug Bier vom Fass einschenken lassen. »Is' reine Medizin«, entschuldigte er sich für gewöhnlich, falls jemand die Augenbrauen hochzog und ihn fragte. Und nachdem er dann sein Doppelkinn massiert und sich lautstark geräuspert hatte, gab er weitere Erklärungen. »Entfernt Teer und Ruß aus meinen Röhren, bestimmt. Na ja, und in mei'm Alter braucht man so was einfach.«
An diesem frostigen Morgen schob ihm Jamie sein Glas mit der Bemerkung über den Tresen: »Dachte schon, Sie komm' heut' gar nicht raus, an so einem Tag wie heute, Bürgermeister.«
»Ach, an einem Tag wie heute mehr als an jedem anderen.« Averys Stimme klang rau und knurrig nach dem kurzen Spaziergang in der Kälte. Er rieb sich seinen Bauch, wie um einen Schmerz zu lindern, und schob seinen Krug zurück. »Tu da noch mal einen Fingerhut richtigen Brandy rein, Jamie. 'n Mann braucht ein bißchen Feuer in seinen Innereien, um sich an einem kalten Morgen wie heute zum Leben zu erwecken.«
Nachdem der Gastwirt seiner Aufforderung nachgekommen war, ergriff Avery das verstärkte Getränk und tat einen tiefen Zug. »Ach«, rief er mit tiefer Stimme und setzte seinen Krug wieder ab. Er klopfte sich mit der Faust an seinen Brustkorb. »Das bringt einen Mann wieder zum Leben. Genau! Das ist richtig! Belebt die Sinne.« Er lehnte einen Ellbogen auf die hölzerne Planke und posierte sich in einer Art, wie jemand, der eine tief verborgene und letzte Wahrheit von sich zu geben hat. »Weißt schon, Jamie, für 'nen Mann in meiner delikaten Position is' es ganz wichtig, daß er sich 'nen schnellen Verstand bewahrt. Kaum 'ne Nacht, in der wir uns in unseren Betten sicher fühlen können, die ganze Zeit den Launen und trickreichen Plänen der Schotten ausgeliefert, die mit ihren Clans kommen und Krieg gegen uns machen. Wir brauchen immer unseren vollen Verstand, Jamie. Ganz bestimmt.«
Der Gastwirt gab ihm ein zustimmendes Nicken und beschäftigte sich weiter damit, seine Krüge zu waschen. Offensichtlich war das ein Thema, das Avery sehr am Herzen lag, denn er fuhr fort, zufrieden mit dem gespielten Interesse des anderen. Was Avery nicht bedachte, war, daß in diesem Augenblick die Revolte in seinem eigenen Haus sehr viel eher bevorstand.
***
Eriennes Plan reichte zwar nicht viel weiter als bis zum Augenblick der Flucht. Es genügte, daß sie sich für die Richtung, in die sie gehen wollte, entschieden hatte. London war ihr nicht unbekannt, und es war sicher der beste Ort, um sich nach einer Beschäftigung umzusehen.
Sie zog sich warm für eine Reise an, die die Trennung vom Elternhaus bedeutete. Farrells Schnarchen drang durch die Stille, selbst dann noch, als sie schon vorsichtig die Treppe zur Hintertür hinunterkroch. Die Tasche, die sie bei sich trug, enthielt ihre ganze Habe. Es war nicht viel, doch sie mußte damit auskommen.
Nachdem sie sich ihre Haube als Schutz vor dem kalten Wetter über den Kopf gezogen hatte, rannte sie mit gerafften Röcken schnell über den Hof zu dem Verschlag, wo der Wallach stand. Da sich Farrell nicht mehr um das Tier kümmerte und sie schon lange seine Pflichten übernommen hatte, hatte sie jetzt ein Anrecht auf das Pferd. Sie war entschlossen, sich besser vorzubereiten als bei ihrer Flucht zu Fuß von Wirkinton.
Der Damensattel war ihr Eigentum, sie hatte ihn einst von ihrer Mutter erhalten. Doch er war nicht wertvoll genug, um ihn verkaufen
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