Eine Sacerda auf Abwegen
Augen groß wurden, als das Licht um die Gestalt
erlosch und sie das Gesicht erkennen konnte, das dem von Devena Gwen auf
unheimliche Weise glich.
„Ich würde so
gern zu ihnen sprechen, aber sie hören mich nicht… Er hat mich niemals gehört
oder gespürt, weil ich ihm mein Blut nicht geben konnte…“, sprach die Fremde,
die sehnsüchtig auf das Bett starrte, in dem ihr Sohn lag.
„Devena
Gwénaëlle… Ich… Ihre Schwester ist hier… Ich kann sie sehen, sie möchte gern zu
Ihnen beiden sprechen. Bitte erschrecken Sie nicht, ich kann sie für einige
Zeit sichtbar machen…“
Nico nahm einen tiefen Atemzug und trat mit ausgestreckter Hand an den Geist
heran, bis sie den Ärmel ihres weißen Gewandes berührte und sie als
Lichtgestalt für die anderen sichtbar machte. Selbst in dieser Form war die
Ähnlichkeit zwischen den Schwestern schier überwältigend.
„ Mein
Sohn… Ich versuche schon so lange, zu dir durchzudringen… Ich konnte keinen
Frieden finden und dir auch keinen schenken… Immer wieder hat das Tier in dir
dich überwältigt und ich konnte nichts dagegen tun…Oh, Gott, Gwenny… Ich wusste
nicht, ob die Flucht dir gelungen ist. Ich war immer an Murchadhs Seite
gebunden. Ich konnte ihn nicht allein lassen… Levika hat ihn einfach gestohlen
und fortgebracht… Das war bestimmt besser, als diesem teuflischen Lord
ausgeliefert zu sein, aber sie war grausam und kalt… Sie hat ihm so oft
wehgetan und ich konnte nur dabei zusehen! Er hat doch alles versucht, um nicht
wieder und wieder dem Biest in ihm zu erliegen… Oft genug den Tod gesucht, aber
er ist zu stark dafür, einfach aufzugeben… Du wirst doch nicht zulassen, dass
man ihm etwas tut…?! Wir waren wehrlose Opfer und nun soll er dafür bezahlen,
was man uns angetan hat? Du hast mir Nacht für Nacht versprochen, dass die
Krieger kommen würden, uns zu retten, dass ich nicht aufgeben sollte… Wo waren
sie, als wir sie so dringend gebraucht hätten?! “
Leuchtende Tränen, die wie kleine glitzernde Diamanten über die durchsichtigen
Wangen des Geistes kullerten, fielen auf den Boden und zerbarsten in kleine
Wolken von Glitzerstaub, während die Frau ihre Hand ausstreckte und sie auf den
Schopf ihres Kindes legte.
Devena
Gwénaëlle hatte beide Hände über ihren Mund gelegt und starrte ihre Schwester
fassungslos an, die ihr seit Jahrhunderten immer wieder im Traum erschien, aber
niemals so verzeihend gesprochen hatte. In ihren Alpträumen schrie und weinte
sie ihre Anklagen heraus und nannte sie eine Verräterin. Nun wusste sie, dass
es nur die Manifestation ihrer Selbstvorwürfe gewesen war.
„ Ich werde
an deiner Seite bleiben, Murchadh, bis sich dein Schicksal erfüllt… Gib nicht
so einfach auf, es lohnt sich zu kämpfen! Wenn du aufgibst, dann hat er am Ende doch noch triumphiert. Wende dich nicht einfach von der Familie ab, die
dir den Platz einräumen wird, der dir zusteht. Sollen mein Tod und mein Leiden
denn völlig umsonst gewesen sein? “
Der Geist beugte sich über Chadh und hauchte einen Kuss auf dessen Stirn, den
er nur mehr als leicht prickelnde Wärme spüren würde, dann trennte sie den
Kontakt zu Nico und löste sich einem letzten Aufleuchten ihrer Gestalt in
Nichts auf.
Nico setzte
sich in Ermangelung einer anderen Sitzgelegenheit zu dem Patienten aufs Bett,
weil ihre Knie sich nun doch ein bisschen schwach anfühlten. Den Kontakt so
lange aufrechtzuerhalten, war nach der ganzen Aufregung der Nacht doch ziemlich
anstrengend gewesen. Sie konnte den Geist noch sehen, die gerade den Blick von
ihrem Sohn löste und sie fordernd ansah.
- Dieses
rothaarige Frauenzimmer… Sie hat sich nicht einen Deut darum geschert, mit wem
sie sich einließ. Sie wählte Murchadh nur, weil sie ihn für gefährlich hielt…
Und das war er auch… Von einem Hunger getrieben, der sie hätte abschrecken
sollen, aber sie wollte sehen, wie weit sie gehen kann. Wie soll sich ein
Verhungernder verhalten, dem man eine kostenlose Mahlzeit anbietet? Murchadh
hat der Nuntia nicht geschadet, als er kurz darauf von ihr trank… Weil sie in
sein Herz gesehen hat und nicht nur egoistisch auf das eigene Vergnügen aus
gewesen ist. Sie wollte ihm ein Zuhause bieten, wie sie dachte, dass er es
wollte… An ihrer Seite wäre er sicher gewesen, sie hätte ihn nicht verraten! -
„Warten Sie…
Muirgheal…“, rief Nico der verschwundenen Erscheinung nach, doch sie kam nicht
wieder.
„Sie ist gegangen… Murchadh? Sie sollten sich anziehen und Ihre
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