Eine Schwester zum Glück
– von »Somewhere Over the Rainbow«, einschließlich der Kermit-Version und der richtigen, als kleine öffentliche Danksagung an die Rancho.
Eines lässt sich mit Sicherheit über einen etwa neunundneunzig Stunden langen Aufenthalt auf einem Dach sagen: Man hat viel Zeit zum Nachdenken. Während ich dort oben war, dachte ich über jeden einzelnen Menschen nach, den ich kannte. Über meine alte Mitbewohnerin Bekka, über J. J. und seine Frau, über April, meinen Dad, Dixie, meine Mutter, Everett, die Babys, Clive und am allermeisten über Mackie. Und wie sehr ich sie vermisste. Jetzt, wo sie nun die Babys hatte und mich nicht mehr mit Bio-Couscous vollstopfte. Während ich eine eigene Wohnung besaß, meinen Kram um mich hatte und auf meine (veränderte, aber durchaus wiederzuerkennende) Taille blicken konnte. Ich vermisste sie. Immer wieder fielen mir Dinge ein, die ich ihr sagen wollte, und ich fing an, eine Liste zu führen. Ich fasste den Entschluss, gleich als Allererstes, wenn ich von hier herunterkam, zu ihr zu gehen. Und es sollte ein ausgiebiger Besuch sein, voller Babygeschmuse und Fläschchenauswaschen. Dann würde es mir eben das Herz brechen – und wenn schon?
Doch dann, in meiner letzten Nacht auf dem Dach, als die Bibliothekarinnen längst Feierabend gemacht hatten und die Sterne alle herausgekommen waren, klopfte es an der Falltür. Da Barbara bereits meine letzte Mahlzeit für den Tag gebracht hatte, jagte mir das Geräusch einen Riesenschreck ein. Ich war so lange so allein gewesen. Mein erster Gedanke war, dass es sich um einen Einbrecher handelte. Um einen sehr höflichen Einbrecher. Reglos überlegte ich, ob ich darauf reagieren sollte – als würde, wer auch immer es war, glauben, ich wäre nicht zu Hause –, doch dann vernahm ich Mackies Stimme. »Mach auf. Ich bin’s.«
Ich freute mich so sehr, sie zu sehen. Natürlich hätte ich mich über jeden gefreut. Doch es freute mich ganz besonders, dass es Mackie war.
»Wie bist du am Nachtwächter vorbeigekommen?«, fragte ich.
»Wie sich herausgestellt hat, steht er auf Rothaarige.« Er hatte einen Blick auf Mackie geworfen und gefragt, ob wir Zwillinge seien, und dann gab sie ihm eine Schachtel Donuts. Sie fügte hinzu: »Er findet dich süß, und er wird an der Kuss-Tombola teilnehmen.«
»Super«, sagte ich.
An diesem Abend sahen Mackie und ich tatsächlich wie Zwillinge aus. Zum ersten Mal, seit ich denken konnte, waren ihre Haare so lockig wie meine. »Was ist denn mit deinem Glätteisen los?«
»Das liegt irgendwo unter einem Haufen Sachen vergraben«, antwortete sie.
»Keine Zeit zum Haarstyling?«
Mackie schüttelte den Kopf.
»Du hast Glück, denn lockig sieht es sowieso besser aus.«
Mackie lächelte. »Das ist deine Meinung.«
Da ich eigentlich keinen Besuch haben sollte, nahm ich sie mit in das Zelt, und als ich den Reißverschluss zugezogen hatte, sah sie sich um. »In den Nachrichten bringen sie ständig das Neueste von dir.«
»Das hat Barbara mir auch schon erzählt.«
»Beim letzten Mal haben sie Aufnahmen von dir gezeigt, wie du versuchst, mit einem Apfel, einer Orange und deiner Zahnpastatube zu jonglieren.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Mir ist ziemlich langweilig.«
»Als ich das gesehen habe«, fuhr sie fort, »habe ich sofort bei Dixie angerufen und sie gebeten, zum Babysitten rüberzukommen.« Dann sah sie mir direkt in die Augen. »Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man einen Besuch von der eigenen Schwester echt, echt, echt nötig hat.« Sie wartete.
»Es tut mir leid«, sagte ich nach einer Weile, »dass ich nicht zu Besuch gekommen bin.«
Sie wartete auf mehr.
»Ich habe schreckliche Angst vor den Babys«, bot ich an.
»Dixie hat die gleiche Theorie.«
»Im Grunde habe ich sie von Dixie«, sagte ich. »Aber es ist wahr.«
»Es mag wahr sein«, meinte Mackie, »aber in Ordnung ist es deswegen noch lange nicht.«
»Okay.«
»Ich bin am Ertrinken! Ich brauche dich wirklich!«
»Es sind jetzt schon zwei Monate!«, entgegnete ich. »Hast du den Dreh denn immer noch nicht raus?«
Da bedachte Mackie mich mit einem Blick, den sie mindestens zwanzig Jahre zuvor zur Vollendung gebracht hatte. Es war ein Ach-komm-schon -Blick, der gleichzeitig fragte: Bist du der größte Dummkopf auf der ganzen Welt? und Wir können doch wohl unmöglich miteinander verwandt sein, oder?
»Ich habe echt eine Pause gebraucht«, sagte ich mit einem Achselzucken. Und dann erwiderte ich ihren Blick und sah ihr genau
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