Eine Schwester zum Glück
ich die Ultraschallbilder sah, die am Kühlschrank klebten. Je schwangerer ich wurde, desto schwerer fiel es mir, die Situation als etwas Vorübergehendes zu betrachten. Der dicke Bauch beeinträchtigte jeden Moment, den ich im wachen Zustand verbrachte, und selbst wenn ich den Kampf gewann, während ich so tat, als wäre der Bauch nicht vorhanden, war ich doch immer noch am Kämpfen.
Man könnte meinen, dass ich ein bisschen über die Situation gestaunt hätte. Vielleicht hätte ich das auch getan, wäre es meine Schwangerschaft gewesen. Stattdessen fiel ich aus allen Wolken, dass man, wenn man jemandem seinen Körper ausleiht, auch noch seine Gedanken und sein Herz mit dreingeben muss. Und ich wartete darauf, dass ich sie alle wieder zurückbekam. Mit warten meine ich: Ich zählte die Tage – und manchmal die Stunden – bis zu dem Kaiserschnitttermin. Bis dahin hieß es, über absolut alles andere nachzudenken.
Beispielsweise über die Bibliothek. Mir blieben zwei Wochen, um mir etwas einfallen zu lassen, an einem Entwurf zu basteln und ihn dann in die Herstellung zu geben. Es herrschte ein gewisser Druck, doch ich ließ mir Zeit. Etwa eine Woche hing ich einfach meinen Gedanken nach und absolvierte meine tägliche Routine: Vormittags war ich im Büro des Denkmalschutzvereins, wo ich Howard Kaffee kochte und einen Stapel grundlegender Lektüre durchging, den er mir auf den Schreibtisch gelegt hatte; die Mit tags zeit und noch ein bisschen danach verbrachte ich in der Bi bliothek, um Recherchen zu betreiben und die Atmosphäre auf mich wirken zu lassen; und nachmittags absolvierte ich meine mittlerweile täglichen Besuche in der Rancho-Verde-Klinik. Ich wartete darauf, dass mir etwas Geniales einfiel, und hielt es für das Beste, auf Trab zu bleiben.
Ich hatte nicht vorgehabt, April jeden Tag zu besuchen, aber ich tat es. Wenn ich zur rechten Zeit losfuhr, dauerte die einfache Fahrt nur vierzig Minuten. Ich hatte das Gefühl, dass sonst niemand sie besuchte. Außerdem war es eine Erleichterung, irgendwohin fahren zu können. Ich war wahnsinnig gern dort draußen auf der Rancho. Ich wäre am liebsten selbst dort eingezogen.
Das Auto, mit dem ich schließlich fuhr, war der zwanzig Jahre alte Volvo, den mein Dad meiner Mom gekauft hatte. Mir war aufgefallen, dass er ihn nicht wirklich brauchte, weil er mit dem Fahrrad in die Arbeit fuhr. Dixie erledigte mittlerweile die Einkäufe, und der Volvo stand fast nur in der Garage.
»Dad?«, hatte ich ihn eines Abends am Telefon gefragt. »Kann ich mir während meines Aufenthalts hier deinen Volvo ausleihen?«
»Sicher!«, sagte er ein wenig zerstreut. »Selbstverständlich.« Dann dachte er doch darüber nach und fügte hinzu: »Wozu eigentlich?«
Also erzählte ich ihm von der Rancho, wobei ich es ein bisschen weniger weit weg klingen ließ, als es tatsächlich war. »Ich habe das Gefühl, dass ich dieses Mädchen besuchen muss, Dad«, schloss ich. »Ich fühle mich für ihre Schwierigkeiten verantwortlich.«
»Du bist doch nicht für ihre Schwierigkeiten verantwortlich!«, sagte mein Dad. »Das ist ja verrückt!«
»Dixie sagt, wenn wir anderen Trost spenden, spenden wir uns selbst Trost.«
»Sie ist eine kluge Frau«, stellte mein Dad fest. Und dann fügte er nachträglich hinzu: »Brauchst du denn Trost?«
»Braucht das nicht jeder?«
Er überlegte eine Minute lang. »Deine Besuche können wohl nicht schaden.« Ich wusste, dass er sich über den Bart strich. »Der Volvo ist für sein Alter noch ziemlich gut in Schuss. Außer dass Willie Nelson’s Greatest Hits im Kassettendeck festklemmen.«
»Lässt sich die Kassette noch abspielen?«
»Ich schaffe es gar nicht, sie abzustellen«, sagte er.
»Danke, Dad.«
»Natürlich fände ich es schlimm, wenn du eine Panne haben solltest. Oder die Wehen einsetzen.«
»Ich bin mir sicher, dass es keine Probleme geben wird«, sagte ich – auch wenn das nicht ganz stimmte.
»Weißt du was?«, meinte er da. »Ich komme mit.«
»Du kommst mit?«, fragte ich. »Was? Du meinst, jeden Nachmittag?«
»Sicher!«, sagte er. »Warum nicht?«
Mir fielen etliche Gründe ein, warum nicht. »Und was ist mit deinem Unterricht?«
»Das geht in Ordnung«, sagte er. »Dafür sind Hilfskräfte da.«
»Bekommst du keinen Ärger?«
»Was können sie mir schon anhaben?«, fragte mein Dad. »Ich habe eine feste Stelle.« Und nach einer Pause: »Glaub mir, wenn es einen Weg gäbe, gefeuert zu werden, hätte ich ihn längst
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