Eine skandalöse Braut
Tanz zu spielen, und ihr Tanzpartner führte sie auf die Tanzfläche. »Ihr habt vorhin schon dreimal getanzt.«
»Ich habe Euch doch schon gesagt, dass es mir gut geht.« Seine Sorge gefiel ihr, und sie versicherte sich mit einem flüchtigen Blick in sein Gesicht, dass er sich tatsächlich um sie sorgte.
Es ging ihr besser als bloß gut. Sogar als sie sich in das Gedränge der Tanzenden begaben, hatte sie das Gefühl, etwas Unwirkliches zu tun. Aber nein, sie spürte den sanften Druck seiner Hand auf ihrer Taille und seine muskulöse, starke Schulter unter ihren Fingern, das war absolut real.
Alex St. James wirbelte sie mit einer Unbekümmertheit auf der Tanzfläche herum, als ob er regelmäßig mit jungen, unverheirateten Ladys tanzte. Amelia konnte nicht entscheiden, ob sie verblüfft sein sollte, weil er eingewilligt hatte, oder ob sie ermutigt sein sollte. Schließlich war es ihre Idee gewesen.
Ihr Vater hörte bestimmt davon.
Auch viele andere nahmen Notiz von ihnen. Bildete sie sich das ein? Oder wurde das Flüstern um sie zunehmend lauter?
»Offenbar ziehen wir einige Aufmerksamkeit auf uns.« Sie brachte ein recht unverbindliches Lächeln zustande.
»Ich vermute, Ihr habt recht, Mylady.« Alex lachte nicht direkt, aber sein Lächeln verzog die Lippen auf diese ihm ganz eigene Art, bei der ein gewisser Zynismus mitschwang. »Ich glaube, einige Leute starren uns sogar an. Macht es Euch was aus?«
Sie hatte von seinem Lächeln geträumt. Warme, verstörende Träume, die ihr Gesicht heiß werden ließen, wenn sie bloß daran dachte. Eine dunkle, widerspenstige Locke streifte seinen markanten Kiefer. Die rabenschwarze Kurve betonte seine männliche, elegante Kinnpartie.
Es war schwer, die begeisterte Aufmerksamkeit der anderen Gäste zu ignorieren. »Ich denke, es ist bloß die Tatsache, uns zwei zusammen zu sehen«, bemerkte sie leichthin. Aber ihre Gefühle waren alles andere als leicht. »Ich frage mich, was sie wohl sagen. Der Wüstling und die reservierte Tochter des Earls. Untypisch für Euch und für mich.«
Es fühlt sich so richtig an …
Die Erinnerung an den Brief ihres Großvaters war noch frisch. Alles, was er geschrieben hatte, von Anfang bis Ende. Aber ein Abschnitt drängte sich in diesem Moment in ihr Bewusstsein:
Ich kann Dich nicht haben, das weiß ich. Mein Verstand schluckt ohne Unterlass schwer an dieser Wahrheit, doch zugleich weigert er sich, sie wahrzuhaben. Wie kann das sein? Ich war doch nicht unzufrieden mit meinem Leben. Du ruinierst das alles. Ich kann nicht mehr klar denken, kann nicht einmal die einfachsten Vergnügungen genießen, ich kann meiner Familie nicht länger gegenübertreten …
»Wen kümmert es, was sie sagen, Amelia.« Alex wirkte bewundernswert unbeeindruckt. Seine Bewegungen waren fließend und ohne Mühe. »Ich würde Euch niemals als reserviert bezeichnen. Die Welt interpretiert Euren Mangel an Koketterie einfach als Unnahbarkeit. Ich bin anderer Meinung. Ihr seid ruhig, nicht kalt. Ihr stellt Eure Schönheit nicht zur Schau, obwohl jeder von Euch Eitelkeit erwartet.«
Dieses Kompliment ließ ihre Kehle eng werden. Sie räusperte sich verlegen. »Ich danke Euch.«
»Das braucht Ihr nicht. Selbstverliebte junge Ladys langweilen mich zu Tode.«
»Ich dachte, junge Ladys langweilen Euch so oder so zu Tode, Mylord.«
»Nicht alle«, erwiderte er sanft.
Vielleicht hätte sie es unter anderen Umständen nicht getan. Wenn seine Worte sie nicht so berührt hätten. Wenn sie nicht dem Zauber der alten Briefe verfallen wäre und auch nicht der damit verbundenen schicksalhaften Liebesaffäre. Wenn sie nicht in den Armen des Mannes im Walzertakt gewiegt worden wäre, an den sie beinahe jeden wachen Moment des Tages dachte. Aber so hob sie ohne nachzudenken die Hand und wischte ihm zärtlich diese verirrte Locke aus seidig schwarzem Haar von der Wange. Die zarte Berührung seiner Haut ließ ihre Fingerspitzen kribbeln, ehe sie die Hand wieder auf seine Schulter sinken ließ.
Sie hätte ihn genauso gut vor allen Anwesenden im Ballsaal küssen können. Entsetzen packte sie. Wie konnte sie es wagen, ihn in der Öffentlichkeit so vertraut zu berühren? Aber jetzt war es zu spät, und sie konnte das kollektive Japsen hören, das von der Menge ausging. Selbst Alex wirkte leicht verwirrt.
»Wenn Ihr Euch um die öffentliche Meinung sorgt, hättet Ihr das besser nicht tun dürfen.«
Ihr stieg die Hitze ins Gesicht. Es war so heftig, dass ihre Kopfhaut prickelte.
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