Eine skandalöse Braut
wählte einen der Wege, die von Flieder und Rhododendron gesäumt waren. Schließlich fand er sich auf der Rückseite des Hauses wieder.
Irgendwo hörte er einen Vogel rufen. Er machte einen Satz, denn die Stimme des Vogels klang sehr nah. Alex erinnerte sich nur zu gut an ähnliche Nächte in Spanien, weshalb ihn seine eigene Reaktion amüsierte. Damals hatte er sein Leben riskiert, indem er sich hinter die feindlichen Linien geschlichen hatte. Er hatte auf fremdem Terrain gekämpft. Heute Nacht musste er nicht mit bewaffneten Wachposten rechnen, die ihn bereits erwarteten. Außerdem riskierte er mit seinem Vorgehen keinen Krieg.
Nun ja, vielleicht einen kleinen.
Er schlich sich durch die Tür ins Gebäude, die zur Küche führte. Der simple Mechanismus war für seinen Dietrich keine Herausforderung. Er schlüpfte in den niedrigen Raum, in dem der rauchige Duft der Schinken hing, die von der Decke baumelten. Außerdem roch er das am Vorabend frisch gebackene Brot, das zum Auskühlen auf dem langen, sauber geschrubbten Tisch lag. Er hatte eine kleine Laterne mitgebracht, die er jetzt entzündete. Das Anreißen des Streichholzes und das Aufflackern der Flamme klangen in seinen Ohren unnatürlich laut, aber im Haus blieb alles still.
Es war ziemlich genau so wie in jener Nacht, als er in Lord Hathaways Stadthaus eingedrungen war. Aber jetzt war er in Cambridgeshire. Hier gab es frische Landluft, und er schlich sich durch Gärten, die im Mondlicht gespenstisch wirkten, statt über rutschige, glatte Hausdächer oder durch zwielichtige Gassen.
Gott sei gepriesen für diese kleinen Unterschiede, das hiesige Ambiente war doch wesentlich angenehmer.
Alex lief einen schmalen Korridor entlang und öffnete vorsichtig eine Tür. Er war dankbar, weil sie nicht knarrte. Das Speisezimmer, erkannte er. Die lange Tafel hob sich aus der Dunkelheit ab und schien zusammen mit den Stühlen und den Kandelabern auf Gäste zu warten. Holzgetäfelte Wände, Türen für die Lakaien, durch die sie die Speisen hereinbringen konnten …
Er entschied sich für eine der Türen, und schon wenige Augenblicke später stand er in der großen Halle des herrschaftlichen Anwesens. Aufgrund seiner vorsichtigen Befragung hatte er eine ungefähre Ahnung, wo sich die einzelnen Räume im Haus befanden, deshalb wählte er nun den Korridor zu seiner Rechten. Der nächste Raum war ein privater Salon, wenn er die Ansammlung von Sofas und Tischchen richtig deutete. Daneben gab es einen kleinen Raum, in dem die Countess wohl früher ihre Korrespondenz verfasst hatte, zwei Türen weiter befand sich endlich das Arbeitszimmer Seiner Lordschaft.
Wenn er hier bloß diese verfluchte Schachtel mit dem Schlüssel fand, damit die leidige Sache endlich vorbei war!
Es gab nur zwei Probleme, denen er sich unverzüglich stellen musste, als er die Tür aufschob. Das erste war, dass es im Zimmer warm war. Sein Blick glitt zu der Feuerstelle, in der tatsächlich ein paar Holzstücke glühten. Das zweite war, dass er nicht allein war.
Amelia saß schlafend im Sessel. Das konnte unmöglich gemütlich sein. Ihre schlanke Gestalt war zur Seite gekippt und hing etwas verdreht auf der Sitzfläche. Das dunkelgoldene Haar umfloss offen ihre Schultern, und sie trug über einem Nachthemd einen Morgenmantel in einer hellen Farbe. Die Spitzenstickerei am Ausschnitt war zu erkennen, weil sie den Morgenmantel um die Taille nur nachlässig verschlossen hatte und er heruntergerutscht war. Alex stand da. Der Anblick lähmte ihn.
Was zum Teufel hat das zu bedeuten?
Erst als sie sich regte, merkte er, dass er die Worte leise vor sich hin gemurmelt hatte. Sie öffnete langsam die Augen, richtete sich im Sessel auf und blinzelte. Dann hob sie eine Hand, strich sich die Haare aus dem Gesicht und richtete sich auf. Ihr Blick ruhte auf ihm. Er stand noch immer in der Tür. »Alex.«
Sie klang nicht überrascht. Hatte sie ihn erwartet?
Er konnte keinen anderen Schluss ziehen, denn bestimmt schlief sie gewöhnlich nicht im Arbeitszimmer ihres Vaters. Leise schloss er die Tür hinter sich. »Warum hat England eigentlich keine Frauen ausgesendet, um Wellington in Spanien zu dienen? Wir hätten Bonaparte in weitaus kürzerer Zeit geschlagen.«
Sie raffte den Morgenmantel um ihre Brust. Seiner Meinung nach war es eine Schande, wenn sie sich verhüllte. »Ihr habt das Arbeitszimmer meines Vaters in London durchsucht. Es machte Sinn, dass Ihr letztlich auch hierherkommt, zumal Ihr mir viele Fragen
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