Eine skandalöse Braut
es nicht so war. Was das jedoch bedeutete, wusste er nicht.
»Nicht ich habe Euch von der Tanzfläche gezogen«, fuhr sie fort, als er nicht antwortete. »Ich habe auch bei den Küssen nicht die Initiative ergriffen.«
»Das stimmt.« Er machte einen Schritt, ehe er sich gegen die Kante des mit Papieren übersäten Schreibtischs lehnte. Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Wenn wir schon darüber reden, warum ein Tanz so viel Klatsch hervorgerufen hat, darf ich Euch vielleicht noch darauf hinweisen, dass nicht ich vorgeschlagen habe, dass wir miteinander tanzen. Ich hätte es auch nicht gewagt, diesen Vorschlag zu machen, da ihr vorher schon drei Tänze hintereinander gewährt hattet.«
»Ihr zählt meine Tänze also.« In ihrer Stimme schwang etwas Triumphierendes mit.
Verflucht, das hatte er tatsächlich. »Ich wollte nicht, dass Ihr wieder Atemprobleme bekommt.«
»Ich schätze Eure Sorge um mein Wohlergehen. Und wenn Ihr jetzt als Nächstes aufführt, ich sei es gewesen, die Euch in der Öffentlichkeit auf eine Art und Weise berührt hat, die alle hat aufmerken lassen, dürft Ihr das gerne tun. Ich weiß sehr genau, wie diese schlichte Geste von der Gesellschaft interpretiert wurde.« Sie saß sittsam vor ihm, die Hände im Schoß gefaltet. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauch. »Allein die Reaktion meines Vaters sollte mich dazu bringen, mein Verhalten zu bereuen.«
Dann untergrub sie seine letzten Verteidigungslinien mit nur fünf Wörtern. »Aber das tue ich nicht.«
Tante Sophia hatte recht behalten.
Sobald sie die ganze Geschichte kannte – oder zumindest alles wusste, was Amelia wusste, also alles von dem Moment an, als sie Alex auf ihrem Balkon fand, bis zu den Liebesbriefen –, hatte Tante Sophia ohne Umschweife vermutet, dass Alex wahrscheinlich als Nächstes das Landhaus in Cambridgeshire durchsuchen würde.
Darum hatte sie den klugen Rat gegeben, sie sollten sich sofort an diesen Ort begeben.
Und er war gekommen. Zu seiner schlichten Reithose trug er ein weißes Hemd und einen dunklen Mantel. So stand er im Arbeitszimmer ihres Vaters. Er sollte nicht hier sein, und er sollte schon gar nicht so verwirrt dreinschauen. »Ihr solltet es aber bereuen«, sagte er jetzt. In seiner Stimme schwang Bitterkeit mit. »Schließlich wird man Euch zukünftig mit dem berüchtigten, unbeständigen Alexander St. James in Verbindung bringen. Sogar meine Großmutter hat die Gerüchte erwähnt, und sie ist sonst über sämtlichen Klatsch erhaben.«
Amelia richtete sich im Sessel auf. Sie war sich seiner Gegenwart so schmerzlich bewusst, dass sie es beinahe körperlich spürte. Einer der Scheite im verglühenden Feuer knackte und versprühte Funken. »Seid Ihr’s denn?«
»Ein Wüstling? Oder unbeständig? Ein bisschen von beidem, vermute ich, aber nicht so sehr, wie es die Gesellschaft von mir behauptet.« Selbst wenn es im Raum nicht so dunkel gewesen wäre, wusste sie, dass seine Miene schwer zu deuten war. Sie hatte diesen leeren Ausdruck schon einmal gesehen, aber sie glaubte, da sie ihn inzwischen besser kannte, dass er diese Miene nur dann aufsetzte, wenn er seine tieferen Gefühle verbergen wollte. Es war eine erworbene Fähigkeit, nicht angeboren, und sie fragte sich, wie oft wohl jemand außer vielleicht der Marquess of Longhaven oder der Viscount Altea wusste, was er wirklich dachte.
Für den Moment waren sie allein. Sie trug nicht mehr als ihr Nachthemd und einen Morgenmantel, und das Haus war ganz still. Was er wohl jetzt dachte? »Für mich seid Ihr kein Mann, der auf Wanderschaft geht, wenn er bereits Gefühle in eine Beziehung investiert hat, die ihm viel bedeutet.«
»Sobald eine Frau von Gefühlen spricht, regt sich bei mir ein gewisser Widerstand, muss ich zugeben. Besonders dann, wenn ich bereits zum zweiten Mal verbotenerweise in ihr Haus eingedrungen bin. Amelia, ich …«
»Ja?« Als er nicht weitersprach, stand sie auf. Sie spürte nicht mehr die Struktur des Teppichs unter ihren nackten Füßen. Der leichte Rauchgeruch und das leise Ticken der Kaminuhr traten in den Hintergrund. Wie er sie ansah! In seinem Blick lag etwas Rohes, und als sie sich vom Sessel erhob, verspannte er sich sichtlich.
Das musste man sich mal vorstellen. Sie konnte den erfahrenen, weltgewandten Alex St. James in Verlegenheit bringen. Und falls Verlegenheit das falsche Wort war, konnte sie ihn wenigstens in Unruhe versetzen. Vielleicht sogar mehr als nur ein bisschen.
»Ich habe bisher fünf
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