Eine skandalöse Lady: Roman (German Edition)
Möchtest du einen Brandy?«
Sie versuchte ihn abzulenken, das Thema zu wechseln. Rhea, die Fruchtbarkeitsgöttin. Wie passend, dachte sie, denn inzwischen war sie sich ganz sicher, dass sie ein Kind erwartete. Dafür sprachen ihre ständige Müdigkeit und andere Veränderungen. Ihr Rhythmus schien völlig durcheinander.
Außerdem hatte ein diskreter Arzt ihre Vermutung bestätigt. Die Empfehlung, ihn aufzusuchen, stammte von Luke, und der ältere Mediziner, der einen durch und durch vertrauenswürdigen Eindruck machte, deutete mit freundlichen Worten nach der Untersuchung an, er könne ihr helfen, das Kind in einer Familie weit weg von London unterzubringen, wenn ihre Zeit gekommen sei.
Niemals.
Die Heftigkeit ihrer Reaktion und die damit verbundene Gefühlsaufwallung kamen für sie selbst unerwartet. Aber ihr Kind weggeben? Sein Kind? Unter keinen Umständen! Sie befand sich in einem ähnlichen Dilemma wie seinerzeit ihre Mutter – erwartete ein uneheliches Kind und sah sich außerstande, es wegzugeben. Nicht nachdem sie sich an den Gedanken gewöhnt hatte.
Sie hatte sich sogar mit der Vorstellung angefreundet, weil dieses Kind schließlich etwas Gemeinsames war. Nach langen Jahren, in denen sie auf ihre Unabhängigkeit gepocht hatte, gefiel ihr die Vorstellung, etwas mit einem anderen Menschen zu teilen.
Und deshalb hatte sie beschlossen, dass sie ihm die Wahrheit sagen wollte. Er verdiente es zu erfahren, denn schließlich war es genauso sein Kind wie ihres. Außerdem erinnerte sie sich gut daran, dass ihr eigener Vater es immer bedauert hatte, so spät erst von ihrer Existenz erfahren zu haben. Er fühlte sich durch die Heimlichtuerei ihrer Mutter um wertvolle Jahre betrogen.
James warf ihr einen gelassenen Blick zu. Er stand noch immer in der Tür. »Darf ich bleiben? Wenn die Antwort Ja lautet, hätte ich gerne einen Brandy. Da du mich seit einer Woche nicht hast sehen wollen, habe ich angefangen, mich zu sorgen. Gibt es irgendeinen Grund für dich, verstimmt zu sein? Ich gebe dir mein Wort als Gentleman, dass ich mir keiner Schuld bewusst bin.«
»Nein, bleib bei mir.«
Seine Brauen hoben sich eine Winzigkeit. »Danke. Erfreulich, das zu hören.«
»Du bist immer ein Gentleman, James. Das ist mit ein Grund, warum ich dich ein paar Tage gemieden habe.« Sie erhob sich ein wenig zu schnell – prompt wurde ihr schwindlig, und sie taumelte leicht.
»Regina.« Sofort war er an ihrer Seite. Mit wenigen großen Schritten hatte er den Raum durchquert und hielt sie nun in den Armen. »Warst du krank? Warum hast du nicht einfach etwas gesagt?« Zu ihrer Verwunderung genoss sie seine Umarmung und seine Fürsorge, legte sogar die Wange gegen den weichen Stoff seines eleganten Mantels und schloss für einen Moment die Augen.
Doch das Unwohlsein ging so schnell vorüber, wie es gekommen war. Der Raum drehte sich nicht mehr, alles stand wieder an seinem Platz. Die Sessel, die nicht zueinanderpassten. Der maurische Tisch, den Luke ihr zum Geburtstag aus Spanien hatte schicken lassen. Die Staffelei, die Farbregale … Die ganze bunte Unordnung. Sie warf einen nachdenklichen Blick auf die Gemälde. Meist Landschaften, aber aus ihrer Perspektive gesehen. Alles, was sie über ferne, exotische Ort gelesen hatte, war in diese Bilder eingeflossen. Vor allem Indien und Afrika hatten sie immer fasziniert. Jetzt hatte sie allerdings seit Tagen nicht gearbeitet. Weil anderes sie mehr beschäftigte …
»Ich bin nicht krank.« Sie richtete sich auf und gab sich große Mühe, möglichst gefasst zu wirken. Um Zeit zu gewinnen, richtete sie das Mieder ihres schlichten hellrosa Kleides, das sie eigentlich nur am Morgen trug. Doch sie war nach dem Mittagessen eingeschlafen und hatte anschließend keine Lust verspürt, sich umzuziehen. »Trotzdem vielen Dank für deine Besorgnis.«
»Meine Besorgnis?« James ließ sie los, und sie spürte, dass er es nur widerstrebend tat. Seine Haltung wirkte angespannt, die blauen Augen verdunkelten sich. In seiner Stimme schwang ein ungewohnt bitterer Unterton mit. »Also gut, reden wir einmal über meine Besorgnis, Regina«, sagte er.
Sie ging zur anderen Seite des Raumes, wo der Brandy stand, und nahm ein Glas. Allein der Gedanke an dieses Getränk verursachte ihr Übelkeit. »Bitte, sprich weiter.«
»Ich liebe dich.«
Sie wollte ihm gerade das Glas reichen und hielt bei diesen Worten mitten in der Bewegung inne.
James atmete hörbar aus und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare.
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