Eine skandalöse Lady
Kinn kündigte genau die Probleme an, die er befürchtet hatte. »Indem Sie mich heiraten und das Leben meines Schwagers verschonen.«
Er neigte den Kopf zur Seite. »Also sorgen Sie sich nur um sein Leben, nicht um Ihr eigenes?«
Während sie das Schreiben in ihren Händen zusammenknüllte, zeigte sie ein kleines, selbstironisches Lächeln. »Ich habe Sterling und meine Schwester belauscht. Wie es aussieht, darf ich mich nach heute Nacht auf eine Parade sittenloser Gentlemen gefasst machen, die darauf brennen, mich auf ihren Knien zu schaukeln.«
Hayden hätte beinahe über ihre Worte gelacht, wenn das von ihr gezeichnete Bild nicht die trüben Wasser seines Gewissens aufgewühlt hätte. Was, wenn Devonbrooke Recht hatte? Was, wenn er durch seine Weigerung, sie zu heiraten, sie zu einem Leben im Schatten oder am Rande der Gesellschaft verurteilt hatte? Er wusste genau, wie kalt es in diesem Schatten sein konnte.
Sicherlich hatte es das schon gegeben, dass eine junge Frau aus bester Familie sich in die Demimonde begeben hatte, nachdem sie in einen Skandal verwickelt worden war. Noch wäre es für eine Schönheit wie Lottie nicht schwierig, einen reichen Beschützer zu finden, der sie verhätschelte und verwöhnte, zumindest so lange, bis er sein Auge auf ein hübscheres und jüngeres Gesicht warf und beschloss, sie an den nächsten Mann weiterzureichen. Und an den nächsten. Und wieder an den nächsten …
Hayden war sich nicht bewusst, dass er seine Hände zu Fäusten geballt hatte, bis er spürte, wie sich seine Fingernägel in die Handballen gruben.
Er ging um Lotties Stuhl herum und beugte sich von hinten über ihre Schulter, nah genug, dass sein Atem die daunenweichen Löckchen über ihrem Ohr bewegte. »Und was, wenn ich einer eben jener Männer bin, von denen Ihr Schwager gesprochen hat? Wie wollen Sie wissen, dass ich Sie heute Nacht nicht einfach in mein Bett nehme, nur um Sie am Morgen in Schande zu Ihrer Familie zurückzuschicken? Was soll mich davon abhalten, Sie zu meiner Mätresse zu machen, statt zu meiner Frau?«
Sie wandte den Kopf, sodass ihre korallenfarbenen Lippen nur einen Hauch von seinen entfernt waren. »Ihr Wort.«
Hayden schaute ihr in die Augen, die seinen Blick rückhaltlos erwiderten. Es war eine ganze Weile her, seit jemand auf sein Wort vertraut hatte. Um ihren Vormund zu beschützen, war sie willens, sowohl ihre Jungfräulichkeit als auch ihren Stolz zu opfern. Sie würde es ihm sogar gestatten, mit seinen blutbefleckten Händen ihr zartes junges Fleisch zu besudeln.
Langsam richtete er sich auf und kehrte zu dem Schreibtisch zurück, auf dem immer noch der elegante Kasten stand, der in nur wenigen Stunden die Reise nach Wales antreten sollte.
Ich hätte dort bleiben sollen,
dachte Hayden bitter. Weit weg von hübschen jungen Frauen und ihren Verwandten, die sich überall einmischen mussten.
Als er erneut seinen Gast betrachtete, war es kühl und abschätzend. »Verraten Sie mir, Miss Fairleigh, ob Ihr Vormund Ihnen eine gute Erziehung hat angedeihen lassen?«
Obwohl sie über die Frage verblüfft erschien, nickte sie. »Ich habe zwei Jahre in Mrs. Lytteltons Bildungsanstalt für junge Damen verbracht. Während meines Aufenthaltes dort habe ich mehrere Briefe aus Mrs. Chapones
Zur Hebung des Verstandes
auswendig gelernt, darunter ›Höflichkeit und Vollkommenheit‹ und ›Die Zügelung von Herz und Neigung‹.« Sie zuckte entschuldigend die Schultern. »Ich muss gestehen, ich habe ›Die Beherrschung des Temperaments‹ nie ganz gelernt.«
»Ebenso wenig wie ich«, murmelte er.
Sie zählte die Fertigkeiten an ihren Fingern ab, die an solchen Anstalten so hoch geschätzt wurden. »Ich kann recht nette Aquarelle malen, ein Porträt mit Wiedererkennungswert zeichnen und ein Mustertuch sticken.« Ihre Miene hellte sich auf. »Oh, und ich kann sehr gut Klavier spielen.«
»Keine Musik«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Dafür habe ich keine Verwendung.«
Sie wirkte bestürzt. »Nun … dann spreche ich noch fließend Französisch, kann eine gerade Naht nähen, Menuett und Walzer tanzen und …«
»Können Sie ein lateinisches Nomen deklinieren?«
Sie schaute ihn verwundert an, da sie das ganz offensichtlich nie für eine der Fähigkeiten in Betracht gezogen hatte, die von einer Ehefrau erwartet wurden. »Wie bitte?«
»Können Sie ein lateinisches Nomen deklinieren?«, wiederholte er mit einem Anflug von Ungeduld. Er stieß den ledernen Globus neben dem
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