Eine skandalöse Versuchung
plaudern, Begrüßungen und Bemerkungen auszutauschen und hier und da eine Konversation zu führen. Sie hatte dies noch nie als schwierig empfunden, eher bisweilen als langweilig, aber heute waren derart viele Gäste darunter, die gerade erst in die Stadt zurückgekehrt waren, dass es reichlich zu erzählen und auszutauschen gab, vieles, über das man lachen und sich amüsieren konnte. Trotzdem war ihr bewusst, dass sie die Aufmerksamkeit einiger Gentlemen auf sich zog, die erst seit Kurzem wieder in der Stadt waren und von Tristans offenkundigem Interesse noch nichts mitbekommen hatten; um möglichen Missverständnissen aus dem Wege zu gehen, blieb Leonora daher nie allzu lange bei einer Gruppe stehen, sondern ließ sich vielmehr kontinuierlich weitertreiben.
Es schien ihr ratsam, sich nicht mit mehreren Wölfen gleichzeitig anzulegen.
»Leonora!«
Sie drehte sich um und lächelte Crissy Wainwright entgegen, einer ziemlich üppigen blonden Lady, die im selben Jahr debütiert hatte wie Leonora selbst. Crissy hatte sich umgehend einen Lord geangelt und geheiratet; die Niederkunft mehrerer Kinder hatte sie einige Jahre aus der Hauptstadt ferngehalten. Crissy drängelte sich regelrecht durch die Menge. »Puh!« Als sie Leonora endlich erreichte, schlug sie als Erstes ihren Fächer auf. »Das ist ja das reinste Tollhaus hier. Und ich dachte, es wäre ein kluger Schachzug, möglichst früh in die Stadt zu kommen.«
»Viele hatten wohl denselben Gedanken, wie mir scheint.« Leonora nahm Crissys Hand; sie drückten einander die Finger und pressten ihre Wangen aneinander.
»Mama wird entsetzt sein.« Crissys umhertanzende Blicke kehrten zu Leonora zurück. »Sie wollte nämlich allen anderen Damen, die dieses Jahr eine Tochter einzuführen haben, zuvorkommen. Sie muss dieses Jahr meine jüngste Schwester an den Mann bringen, und sie hat sich bereits diesen Earl ausgeguckt, der unbedingt heiraten muss.«
Leonora blinzelte sie an. »Ein Earl, der unbedingt heiraten muss?«
Crissy lehnte sich näher an sie heran und senkte ihre Stimme. »Anscheinend hat diese arme Seele kürzlich geerbt und muss nun bis spätestens Juli verheiratet sein, sonst verliert er sein gesamtes Vermögen. Seine Häuser und deren Bewohner blieben ihm hingegen erhalten, und weder das eine noch das andere würde sich allein mit Almosen finanzieren lassen.«
Leonora lief ein Schauer über den Rücken. »Davon habe ich ja noch gar nichts gehört. Um welchen Earl handelt es sich denn?«
Crissy machte eine vage Handbewegung. »Vermutlich hat es niemand für besonders erwähnenswert gehalten, schließlich suchst du keinen Ehemann.« Sie zog eine Grimasse. »Ich dachte ja immer, dass du einen leichten Stich hättest von wegen deiner starrköpfigen Haltung gegenüber der Ehe, aber inzwischen … Ich muss schon zugeben, manchmal glaube ich fast, du hattest recht damit.« Ihr Ausdruck
trübte sich für einen Moment, doch dann strahlte sie wieder. »Aber ich bin schließlich hier, um mich zu amüsieren, und ich will nicht den geringsten Gedanken daran verschwenden, verheiratet zu sein. Wenn dieser bemitleidenswerte Earl tatsächlich so begierig gejagt wird, wie man den Gerüchten nach annehmen muss, könnte ich ihm doch vielleicht eine sichere Zuflucht bieten? Ich habe gehört, er soll überaus gut aussehen. Das kommt bei Männern mit Reichtum und Titel ja leider nur allzu selten vor …«
»Welcher Titel denn eigentlich?« Leonora unterbrach sie ohne jeden Skrupel; Crissy konnte ohne Weiteres stundenlang so weiterreden.
»Ach, hatte ich den noch gar nicht erwähnt? Trillingwell, Trellham oder irgend so etwas in der Art.«
»Trentham?«
»Ja! Ganz genau.« Crissy wirbelte wieder zu ihr herum. »Du hast also doch schon davon gehört.«
»Ich garantiere dir, das hatte ich noch nicht; aber ich bin dir dankbar, dass du es mir erzählt hast.«
Crissy blinzelte und musterte sie eingehend. »Du durchtriebenes Ding. Du kennst ihn also.«
Leonoras Augen waren zu Schlitzen verengt, aber ihr Blick galt nicht Crissy, sondern einem dunkelhaarigen Mann, der sich ihr durch die Menge hindurch näherte. »Und ob ich ihn kenne.« Und zwar im biblischen Sinne. »Wenn du mich bitte entschuldigen würdest … Ich nehme an, wenn du länger in der Stadt bleiben wirst, werden wir uns in Zukunft häufiger über den Weg laufen.«
Crissy packte sie bei der Hand, als sie sich gerade entfernen wollte.
»Verrate mir nur eins … Ist er wirklich so attraktiv, wie alle
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