Eine skandalöse Versuchung
hinfällig.«
Sie saßen einige Schritte voneinander entfernt, und dennoch erwachte alles, was zwischen ihnen gewachsen war, was zwischen ihnen existierte, mit einem Mal zum Leben - eine fühlbare Kraft, die den Raum erfüllte und beinahe sichtbar in der Luft flirrte.
Sie spürte es, spürte, wie es sie umfing - ein Netz von Gefühlen, das so unbeschreiblich stark war, dass sie ganz genau wusste, sie würde sich niemals daraus befreien können. Und er wahrscheinlich ebenso wenig.
Sein Blick blieb hart, unverhohlen besitzergreifend, absolut unnachgiebig. »Ich muss heiraten, und irgendwann hätte ich mich unweigerlich
gezwungen gesehen, mir eine Ehefrau zu suchen. Aber stattdessen habe ich dich gefunden, und die ganze Suche ist überflüssig geworden. Ich möchte, dass du meine Frau wirst. Und du wirst meine Frau werden.«
Sie wollte und konnte gar nicht an seinen Worten zweifeln; der Beweis lag direkt vor ihr - zwischen ihnen.
Die Spannung wuchs, wurde unerträglich. Sie mussten sich irgendwann rühren; er tat dies zuerst und erhob sich in einer weichen, elastischen Bewegung aus seinem Sessel. Er hielt ihr die Hand hin; nach einem kurzen Zögern griff sie danach. Er zog sie hoch.
Sein Blick ruhte auf ihr; seine Züge waren hart, wie gemeißelt. »Begreifst du jetzt?«
Sie neigte ihren Kopf zu ihm hoch, studierte sein Gesicht, seine Augen, seine harten, strengen Wangen, die so wenig preisgaben. Sie atmete tief ein und konnte nicht umhin zu fragen: »Warum? Ich weiß noch immer nicht, warum du mich heiraten willst. Warum du mich willst - nur mich.«
Er erwiderte ihren Blick einige Zeit lang schweigend; sie dachte schon, er würde gar nicht mehr antworten, doch das tat er.
»Rate.«
Es war an ihr, lange und intensiv nachzudenken; schließlich fuhr sie sich über die Lippen und murmelte: »Ich kann nicht.« Einen Augenblick später fügte sie mit brutaler Ehrlichkeit hinzu: »Ich wage es nicht.«
14
Er hatte darauf bestanden, sie nach Hause zu begleiten. Nur ihre Hände hatten sich berührt, und dafür war sie äußerst dankbar gewesen. Er hatte sie intensiv beobachtet; sein drängendes Bedürfnis, sie zu besitzen, war überdeutlich gewesen, und sie wusste es zu schätzen, dass er sich zurückgehalten hatte. Anscheinend verstand er sehr genau, dass sie Zeit zum Nachdenken brauchte - Zeit, all
das, was er ihr gesagt hatte, all das, was sie erfahren hatte, zu verarbeiten.
Und zwar nicht nur, was sie über ihn erfahren hatte, sondern auch über sich selbst.
Liebe. Wenn er tatsächlich darauf angespielt hatte, veränderte sich alles. Er hatte das Wort nicht laut ausgesprochen, doch wenn sie ihm so nah war, konnte sie es spüren. Eine Macht, die sehr viel stärker war als Lust oder Verlangen. Sehr viel erhabener.
Wenn dieses Gefühl, das sich zwischen ihnen entwickelt hatte, tatsächlich Liebe war, dann gab es womöglich wirklich keinen Weg zurück, weg von ihm und seinem Heiratsantrag. Nur ein Feigling würde sich so leichtfertig aus der Affäre ziehen.
Die Entscheidung lag nun bei ihr. Nicht nur ihr eigenes, sondern auch sein Glück hing davon ab.
Während das Haus um sie herum in tiefe Stille versunken war und lediglich die auf dem Kaminsims tickende Uhr die Sekunden der frühen Morgenstunden zählte, lag Leonora in ihrem Bett und zwang sich, über jene Gründe nachzudenken, die sie bislang vom Heiraten abgehalten hatten.
Es war keineswegs eine abgrundtiefe Abneigung gegen die Ehe - so eindeutig und umfassend waren ihre Vorbehalte nicht. Ein solches Gefühl hätte sie leicht identifizieren, einschätzen und sich vielleicht sogar davon überzeugen können, es beiseitezuschieben oder es zu überwinden.
Ihr eigentliches Problem lag sehr viel tiefer begründet; es war schwer zu fassen, und doch hatte es sie im Laufe der Jahre immer wieder vor einer Heirat zurückschrecken lassen.
Und nicht allein vor einer Heirat.
Während sie im Bett lag und die mondbeschienene Decke anstarrte, lauschte sie auf das verräterisch kratzende Geräusch vor ihrer Schlafzimmertür, das von Henriettas Krallen auf dem polierten Holz herrührte. Die Hündin streckte sich und trottete dann die Treppe hinunter. Das Geräusch erstarb. Und mit ihm alle Ablenkung.
Sie atmete tief ein und zwang sich, genau das zu tun, was sie dringend tun musste, nämlich einen intensiven Blick auf ihre Vergangenheit zu werfen, auf all die Freundschaften und Bekanntschaften, denen sie nie eine Chance gegeben hatte, sich zu entwickeln.
Der einzige
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