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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sehr gerade neben Randolf und Felicia ganz vorn auf der Galerie saß, geistig jedoch so weit von ihnen entfernt schien, als befänden sie sich in zwei verschiedenen Räumen. Er ignorierte die beiden total und schaute niemand anderen an als Damaris. Seine Brauen waren zusammengezogen, der Mund konnte sich offenbar nicht recht zu einem Lächeln durchringen. Vielleicht befürchtete er, es würde ihm eher als Unbekümmertheit denn Ermutigung ausgelegt.
    Monk saß unten im Gerichtssaal zwei Reihen hinter Hester. Er hatte sich absichtlich nicht neben sie gesetzt, da er von der Begegnung mit Hermione noch zu aufgewühlt war. Im Grunde sehnte er sich danach, allein zu sein, doch die Umstände machten dies unmöglich, und so hatte er sich unter die anonyme Menge gemischt, die wenigstens ein gewisses Maß an Abgeschiedenheit garantierte. Um sich abzulenken, versuchte er seinen Geist und seine Gefühle so weit wie möglich auf das Drama zu konzentrieren, das sich vor seinen Augen abspielte.
    Rathbone begann in dem sanften, überaus vorsichtigen Ton, den er nach Monks Wissen immer dann an den Tag legte, wenn er in Kürze zum tödlichen Hieb auszuholen gedachte. Es war ihm zwar eigentlich zuwider, doch nach sorgfältigem Abwägen der Fakten hatte er seine Entscheidung unwiderruflich getroffen.
    »Mrs. Erskine, Sie befanden sich an dem Abend, als Ihr Bruder ermordet wurde, im Haus von Mr. und Mrs. Furnival und haben uns den Ablauf der Ereignisse bereits geschildert, wie er Ihnen in Erinnerung geblieben ist, richtig?«
    »Ja«, kam es kaum hörbar zurück.
    »Was Sie dabei allerdings ausgelassen haben, war der für Sie persönlich wohl verheerendste Teil des Abends, das heißt, bis Dr. Hargrave verkündete, Ihr Bruder hätte keinen Unfall erlitten, sondern wäre ermordet worden.«
    Lovat-Smith beugte sich stirnrunzelnd vor, hielt sich mit einem Einspruch jedoch zurück.
    »Den Aussagen mehrerer Personen zufolge«, fuhr Rathbone fort, »befanden Sie sich in einem Zustand größter, an Hysterie grenzender Beunruhigung, nachdem Sie von Ihrem Besuch bei Valentine Furnival zurückgekehrt waren. Würden Sie uns bitte den Grund für diesen Stimmungswandel nennen?«
    Damaris war eifrig bemüht, den Blicken von Randolf und Felicia aus dem Weg zu gehen, und schaute auch Alexandra nicht an, die bleich und bewegungslos auf der Anklagebank saß.
    Sie brauchte einige Sekunden, um sich zu wappnen. Rathbone drängte sie nicht.
    »Ich hatte Valentine… erkannt«, sagte sie schließlich mit belegter Stimme.
    »Erkannt? Was für ein sonderbares Wort, Mrs. Erskine. Bestanden Ihrerseits je Zweifel an seiner Identität? Schön, ich weiß, daß Sie ihn nicht oft gesehen haben, zwischendurch sogar mehrere Jahre nicht, als er auf dem Internat war – aber es war doch wohl nur ein Junge an jenem Abend anwesend?«
    Sie schluckte krampfhaft und warf ihm einen derart flehenden Blick zu, daß ärgerliches Gemurmel laut wurde. Felicias Oberkörper schoß nach vorn, richtete sich aber sogleich wieder auf, als Randolf ihr eine Hand auf den Arm legte.
    Peverell nickte kaum merklich. Damaris hob das Kinn.
    »Er ist nicht das leibliche Kind der Furnivals; er ist adoptiert. Vor vierzehn Jahren, lange vor meiner Heirat, habe ich einen Sohn zur Welt gebracht. Jetzt, wo er fast ausgewachsen ist – ein junger Mann fast, kein Kind mehr – da…« Sie brauchte eine kurze Pause, um ihre Fassung wiederzuerlangen.
    Ihr gegenüber auf der Galerie lehnte Charles Hargrave sich ein wenig vor. Sein Gesicht war angespannt, die rotblonden Brauen düster zusammengezogen. Seine Frau Sarah neben ihm blickte verwirrt und ein wenig besorgt.
    »Sieht er seinem Vater plötzlich sehr ähnlich«, führte Damaris den Satz zu Ende. »So frappierend ähnlich, daß ich auf einmal wußte, er kann nur mein Sohn sein. Sehen Sie, damals war der einzige Mensch, den ich um Hilfe bitten konnte, mein Bruder Thaddeus. Er brachte mich eine Weile von London weg und sorgte dafür, daß das Kind adoptiert wurde. Als ich Valentine gegenüberstand, traf mich die Erkenntnis wie ein Donnerschlag. Dort hatte er meinen Sohn also hingebracht.«
    »Waren Sie böse auf Ihren Bruder, Mrs. Erskine? Nahmen Sie es ihm übel, daß er Ihr Kind den Furnivals überlassen hatte?«
    »Nein, überhaupt nicht! Sie waren…« Sie schüttelte heftig den Kopf. Tränen liefen ihr über die Wangen, und ihre Stimme versagte ihr nun doch den Dienst.
    Der Richter beugte sich mit zutiefst betroffener Miene vor. Lovat-Smith sprang auf.

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