Eine Spur von Verrat
Auge.
»Ist aber nicht gerade das, was Sie sich vorstellen?« fragte er nach.
»Ich? Tja – nun, Sir, ich glaub’, ich würd’ lieber jemand wollen für ’nen Gentleman wie Sie klingt das vielleicht albern –, mit dem ich Spaß haben kann, mit dem ich reden kann und so.
’n richtigen Mann, der…« Jetzt begannen ihre Wangen wirklich zu glühen. »Der mich gern hat und mir das auch zeigt – wenn Sie verstehen, was ich meine, Sir.«
»Ja, ich denke schon.« Monk mußte unwillkürlich lächeln, ohne genau zu wissen, warum. Er erinnerte sich plötzlich, wie geborgen er sich in der Küche seiner Mutter in Northumberland gefühlt hatte, wie sie mit hochgekrempelten Ärmeln am Tisch stand und ihn sacht am Ohr zog, weil er frech gewesen war – was allerdings eher einer Liebkosung als einer Disziplinierungsmaßnahme gleichkam. Sie war stolz auf ihn gewesen. Das stand für ihn in diesem Moment unumstößlich fest. Er hatte ihr regelmäßig aus London geschrieben, um sie wissen zu lassen, was er so trieb, wie seine Karriere vonstatten ging, was er sich für die Zukunft erhoffte. Und sie hatte ihm zurückgeschrieben, kurze, mit Fehlern gespickte Briefe in ungelenker Handschrift, doch berstend vor Stolz. Wann immer er konnte, hatte er ihr Geld geschickt, was ziemlich häufig vorkam. Ihr nach all den mageren, aufopferungsvollen Jahren unter die Arme greifen zu können, machte ihm Freude und war zugleich ein Zeichen seines Erfolgs.
Später, nach Walbrooks Bankrott, war die Geldquelle versiegt. Und vor lauter Verlegenheit hatte er aufgehört, ihr zu schreiben. Was für ein Unsinn! Als ob das für sie eine Rolle gespielt hätte. Schuld war nur sein Stolz – sein widerlicher, egoistischer Stolz.
»Sehr gut sogar«, bestätigte er Ginny noch einmal.
»Womöglich ist es Mrs. Carlyon auch so gegangen, meinen Sie nicht?«
»Das kann ich nich beurteilen, Sir. Bei diesen vornehmen Damen ist das anders. Sie – sie – na ja, ich…«
»Sie hatten kein gemeinsames Schlafzimmer?«
»Nein, Sir – nich seit ich hier bin. Und von Lucy, die vor mir da war, hab’ ich gehört, früher auch nich. Aber das ist bei dem feinen Volk immer so, oder? Die haben viel größere Häuser als so einfache Leute wie meine Eltern.«
»Oder meine«, pflichtete Monk ihr bei. »War sie glücklich?« Ginny runzelte die Stirn; ihr Blick wurde vorsichtig. »Nein, Sir, ich glaub’ nich, daß sie das war.«
»Hat sie sich in letzter Zeit irgendwie verändert?«
»Sie war schrecklich beunruhigt wegen irgendwas. Und sie und der General hatten vor ’nem halben Jahr ’n scheußlichen Krach aber fragen Sie mich jetzt bloß nich weswegen, das weiß ich nämlich nich. Sie hat die Tür verriegelt und mich weggeschickt. Ich bin sowieso nur deshalb drauf gekommen, weil sie leichenblaß gewesen ist und mit niemand ’n Wort gesprochen hat, und weil sie ausgesehen hat, als ob sie dem Teufel persönlich begegnet war. Aber das war vor ’nem halben Jahr, und ich hab’ eigentlich gedacht, der Fall war erledigt.«
»Hat er ihr jemals weh getan, Ginny, physisch?«
»Gott im Himmel, nein!« Sie schüttelte den Kopf und betrachtete ihn gequält. »Ich kann Ihnen nich helfen, Sir, und ihr auch nich. Ich hab wirklich keine Ahnung, warum sie ihn umgebracht haben soll. Er war vielleicht kalt und schrecklich langweilig, aber er hat sie nie betrogen, hat ihr immer genug Geld gegeben, wurde nie ausfallend, hat nich übermäßig getrunken oder gespielt und hat auch nich ständig wechselnde Bekanntschaften gehabt. Obwohl er mit Miss Sabella unheimlich streng gewesen ist wegen dieser Nonnengeschichte, war er dem jungen Master Cassian immer der beste Vater, den sich ein Junge bloß wünschen kann. Und Master Cassian ist ganz vernarrt in ihn gewesen, der arme kleine Kerl. Wenn ich nich so genau wüßte, daß sie kein böses Weib ist – tja, dann würd’ ich ehrlich glauben, sie war eins.«
»Ja«, sagte Monk niedergeschlagen. »So geht’s mir auch, fürchte ich. Vielen Dank für Ihre Geduld, Ginny. Ich finde allein nach unten.«
Erst nachdem Monk auch den Rest des Personals befragt hatte ergebnislos, denn alle waren absolut einer Meinung mit Hagger und Ginny –, zum Mittagessen in der Gesindestube geblieben war und schließlich wieder draußen auf der Straße stand, wurde ihm klar, wieviel von seinem eigenen Leben in diesen letzten Stunden ungebeten vor ihm aufgetaucht war: seine Kenntnisse in der Handelsbranche, seine Briefe nach Hause, Walbrooks finanzieller Ruin
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