Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neville Shute
Vom Netzwerk:
welcher gen
Osten zu einer Landstraße nach Kuantan führte. Er war ein angenehm kühles Dorf;
ein guter Wind wehte. Die Bewohner waren lieb und gastfreundlich, gaben den
Frauen ein Haus zum Schlafen, sorgten für Speise, frisches Obst und brachten
von dem Rindenabguß, der in Mentri so gut geholfen hatte. Hier rastete man
sechs Tage, erholte sich in der frischen, stärkenden Luft, erfreute sich eines
gesunden Schlafes, und als es am siebenten Tag weiterging, waren alle in
wesentlich besserer Verfassung. Als Bezahlung für die Verpflegung und zum Dank
für die ihnen erwiesene Güte und Hilfe gaben sie dem Vorsteher eine kleine
Goldbrosche, die der in den Sumpfniederungen dahingeschiedenen Mrs. Fletcher
gehört hatte, und waren davon überzeugt, die Tote hätte gewiß nichts dagegen
gehabt.
    Nach vier Tagen erreichten sie am Abend
den Ort Maran und die asphaltierte Landstraße, die quer durch die Halbinsel von
Kuantan im Osten nach Kerling im Westen führt. Das Dorf mit etwa fünfzig
Häusern, einigen Läden und einem Schulgebäude liegt rechts und links der
Straße. Auf diese stießen sie aber bereits eine halbe Meile vor dem
Dorfeingang, und jähe Freude erfüllte sie, nach fünf Wochen Wanderung zwischen
toten Eisenbahnschienen, in Sumpfland und auf Dschungelpfaden endlich wieder in
zivilisierter Gegend zu sein. Munteren Schrittes näherten sie sich dem Dorf.
    Auf einmal sahen sie vor sich zwei
Lastwagen. Daran arbeiteten zwei weiße Männer, und japanische Soldaten standen
als Wache daneben.
    Rasch näherten sie sich den zwei
Fahrzeugen, die mit Eisenbahnschienen und Schwellen schwer beladen waren. Das
Chassis eines der beiden Lastwagen war hinten mittels einiger der mitgeführten
Schwellen aufgebockt. Darunter werkten die zwei Weißen an der Hinterradachse.
Sie trugen kurze Hosen, Soldatenstiefel, waren hager, sonnengebräunt und von
Wagenschmiere verdreckt, dabei aber augenscheinlich gesund, muskulös und
widerstandsfähig. Es waren die ersten Weißen, die den Frauen seit fünf Monaten
zu Gesicht kamen.
    Alle drängten sich um die Lastwagen,
und während ihre zwei Wachen in japanischem Stakkato mit dem Transportposten
schwatzten, guckte einer der Weißen, der mit einem verstellbaren
Schraubenschlüssel in der Hand rücklings unter der Achse lag, nach den in
seinem Gesichtskreis befindlichen bloßen Beinen und den Sarongs und rief seinem
Kameraden zu: «Sag doch dem Japs, er soll dafür sorgen, daß uns die Weiber da
aus dem Licht gehn; man sieht ja nichts!»
    Einige Frauen platzten selig heraus,
aber Mrs. Frith rief auf englisch unter den Wagen: «Sie! Junger Mann! Was fällt
Ihnen ein, in diesem Ton von uns zu reden?»
    Da kamen die beiden Männer unter dem
Wagen hervorgerollt, setzten sich auf und starrten die gebräunten Frauen und
die halbnackten, dunkelgebrannten Kinder an.
    «Wer hat das eben gesagt?» fragte der
mit dem Schraubenschlüssel, und zwar sehr langsam mit einer Pause nach jedem
Wort: «Wer-spricht-hier-Englisch?»
    «Wir alle», lachte Joan, und er sah baß
erstaunt auf das schwarze, zum Zopf geflochtene Haar, die braunen Arme und
Beine, den Sarong und das braune Kindchen an ihrer Hüfte. Einzig am Ausschnitt
ihrer Bluse gewahrte er ein wenig hellere Haut.
    «Indisches Mischblut?» rief er aufs
Geratewohl.
    «Nein, echte Engländerinnen», versetzte
sie, «wir sind Kriegsgefangene.»
    Er sprang auf und sie sahen: Er war ein
kräftig gebauter blonder Kerl, etwa siebenundzwanzig Jahre alt. «Dinkydie!»
rief er.
    Sie verstand das Wort nicht und fragte:
«Seid ihr auch Gefangene?»
    Er lächelte vielsagend. «Ob wir
Gefangene sind? Mein Wort darauf!» In seiner Sprache und ganzen Art lag etwas,
das ihr neu war.
    «Sind Sie Engländer?» erkundigte sie
sich daher.
    «Ach was!» antwortete er auf seine
bedächtige Weise. «Wir sind Aussies.»
    «Ach so, Australier! Sind Sie hier in
einem Camp?»
    Er schüttelte den Kopf. «Wir sind von
Kuantan, aber den ganzen Tag unterwegs. Wir schaffen das Zeug da hinunter zur
Küste.»
    «Wir gehen nach Kuantan, dort soll ein
Frauencamp sein.»
    Er guckte verblüfft. «Was reden Sie denn?
In Kuantan ist doch im Leben kein Frauencamp. Da ist nicht einmal ein
hundsgemeines Gefangenenlager, bloß so eine Bude für uns Lastwagenfahrer. Wer
hat Ihnen bloß den Bären aufgebunden, daß dort ein Frauencamp sei?»
    «Der Japaner», seufzte sie. «Wieder
einmal gelogen!»
    «Die Nips, die schwindeln sich etwas
zusammen!» Wieder das leichte, vielsagende Lächeln. «Ich

Weitere Kostenlose Bücher