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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neville Shute
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Harry
Collard, Susan Fletcher und Doris Simmonds; das waren die drei ersten, und das
vierte war Freddie Holland.
    Joan hatte sich alle erdenkliche Mühe
mit ihm gegeben, aber vom ersten Fiebertag an hatte sie erkannt, daß er bald
sterben würde. Sie hatte auf diesem Gebiet traurige Erfahrungen gesammelt,
darunter auch die: Im Verhalten der Kranken, selbst der ganz kleinen Kinder, zu
ihrer Krankheit liegt etwas, das uns sagt, wenn der Tod unvermeidlich ist; eine
teilnahmslose Schlaffheit, als seien sie schon zu müde, um sich noch
anzustrengen, zu leben.
    Zu jener Zeit hatten sich diese
Gefangenen gegen den Tod verhärtet, hatten sich Klagen und Trauern abgewöhnt.
Der Tod war für sie ein Ding geworden, das sie mieden und bekämpften, das sie
jedoch, sobald es Tatsache geworden war, mit den andern Übeln Tatsachen stumm
in Kauf nahmen. Wenn jemand starb, waren bestimmte Pflichten zu erfüllen: die
Augen des Toten zuzudrücken, den Körper so gut es ging zurechtlegen, die Hände
falten; dann das Grab, das Kreuz und eine Eintragung ins Tagebuch mit Angabe
des Namens und des genauen Ortes der Beisetzung. Damit war es zu Ende. Für mehr
fehlte die Kraft.
    Joans Sorge galt nun in erster Linie
Eileen. Sie hielt es fürs beste, daß die Mutter nach dem Tod ihrer beiden
älteren Kinder wieder die Pflege des kleinen Robin übernehme, den sie selbst
während der letzten Wochen ganz allein gewartet, gefüttert und getragen und
dabei von Herzen liebgewonnen hatte. Sie wollte ihn keineswegs loswerden, aber
sie hielt es für notwendig, daß Mrs. Hollands Gedanken und Tun wieder einen
Wirkungskreis fänden: Robins Pflege! Doch der Versuch mißglückte. Eileen war so
geschwächt, daß sie ihr Kind unterwegs unmöglich tragen konnte; sie brachte
nicht einmal die Kraft auf, mit ihm zu spielen. Außerdem hing nun der Kleine
weit mehr als an seiner alten Mama an der jungen, die ihn nun schon so lange
auf ihrer Hüfte getragen hatte.
    «Es ist beinahe», meinte Mrs. Holland,
«als gehöre er mir nicht. Nimm du ihn, Liebe; er ist so gern bei dir!»
    Von dieser Stunde an teilten sie sich
in Robins Wartung. Von Eileen bekam er Reis und Suppe, von Joan Freude.
     
    Sie ließen vier kleine Gräber hinter
der Signalbude in Bahau, zogen weiter dem Schienenstrang nach, und mit sich
führten sie zwei Bahren aus Bambusstäben, auf denen die schwächsten der Kinder
abwechselnd getragen wurden. Wie jedesmal bisher erwiesen sich die einfachen
japanischen Soldaten, ihre Wächter, als menschlich und einsichtig. Rauh im
Umgang und weit entfernt von Sympathie für den Westen, waren sie doch den
schwachen Frauen gegenüber rücksichtsvoll und den Kindern herzlich zugetan. Mit
der gegenseitigen Verständigung haperte es noch immer; immerhin konnten die
Engländerinnen nun schon ein paar japanische Brocken, und in den Malaiendörfern
dolmetschte Joan auch weiterhin, als Pfadfinder, als Vermittlerin.
    Zu einer besonderen Überraschung wurde
die in der ersten Zeit so klägliche Mrs. Frith. Dieses blutleere Frauchen, das
in Kuala Panong und mehr noch in Port Dickson und Malacca mit Gejammer und
Unglücksprophezeiungen allen schwer auf die wahrlich schon genug strapazierten
Nerven gegangen war, schien, seit sie den verwaisten Johnnie Horsefall
betreute, mit ihren vierundfünfzig Jahren ein neuer Mensch geworden zu sein.
Sie fühlte sich viel gesünder und marschierte so gut wie nur eine der Jungen.
Obwohl seit fünfzehn Jahren im Lande niedergelassen, verstand und sprach sie
nur wenige Worte Malaiisch, wußte jedoch in geographischer Hinsicht und auch
mit Krankheiten gut Bescheid. Daß es nun auf Kuantan zuging, beglückte sie geradezu.
    «Da ist es schön!» rief sie. «Viel
gesünder als im Westen und nettere Leute, ihr werdet sehen! Dann sind wir übern
Berg.»
    Mit der Zeit wurde Mrs. Frith durch
Ermunterungen und Ratschläge eine wirkliche Stütze der Wandernden.
    Doch Eileen Holland ereilte in Ayer
Kring das Ende.
    Unterwegs war sie vor Schwäche zweimal
umgefallen; mit großer Mühe hatte man sie weitergeschleppt. Für die Tragbahre
war die Korpulente trotz starker Gewichtsabnahme noch immer zu schwer. Man
hätte sie trotzdem ein Stück weit getragen, aber sie hatte sich dagegen
gesträubt, denn dann hätte ein Kind den Platz räumen müssen, und das wollte sie
nicht. So wankte sie denn auf eigenen Füßen in das kleine Dorf; da aber
verfärbte sie sich, nicht anders als damals Mrs. Collard in Siliau, und das war
ein schlimmes Zeichen.
    Das Nest Ayer

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