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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neville Shute
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ein wenig in der Dämmerung spazieren.
    Vor dem Hotel hockten drei junge Männer
— so wie es Joe Harman zu tun pflegte — , ein Bein vorgestreckt, auf den
Fersen. Sie trugen eine Art Jodhpur-Hosen und hohe Zugstiefel mit Gummieinsatz
und sehr dünnen Sohlen. Sie spielten auf dem bloßen Erdboden Karten und
schienen ganz in ihr Spiel vertieft. Das Mädchen guckte nach ihren Ringfingern.
Keiner trug einen Ring. So mochte wohl auch der Stockman Harman, ehe er eingerückt
war, des Abends am Boden gekauert haben. Sie widerstand der Versuchung, die
Spieler anzusprechen und nach ihm zu fragen.
    In der Frühdämmerung ging es weiter und
weiter, immer im gleichen Tempo, an Milners Lagoon, an Newcastle Waters und der
Muckety-Bohrung vorüber. Heißer und heißer brannte die Sonne, die Vegetation
verschwand. In Tennant Creek hielten sie einstündige Mittagsrast. Sandwüste
umgab sie.
    Der glutheiße Weg, auf dem der Bedford
über die ausgedörrte Ebene dahinraste, führte sie an etlichen Flecken vorüber,
Weilern aus zwei bis drei Hütten, die mit den Namen Wauchope, Barrow Creek und
Aileron beehrt waren. Sie durchquerten die Reynolds und gegen Abend die
Macdonnell Ranges, kahle rote Bergketten unter blaßblauem Himmel, näherten sich
bei Sonnenuntergang Alice Springs und stiegen im Hotel «Talbot Arms» ab. Es war
im Bungalow-Stil erbaut und wie fast alle anderen Häuser einstöckig. Joan
erhielt ein Zimmer mit Balkon.
    Sogleich nach der Ankunft wurde Tee
aufgetragen, alle fanden sich auch sofort dazu ein. Joan hatte bereits die
Erfahrung gemacht, daß man in den australischen Landgasthöfen sehr pünktlich
sein muß; später bekommt man nichts mehr. Erst nach dem Nachtmahl zog sie sich
um und bummelte durch die Stadt.
    Und als sie so durch die breiten
Straßen dahinschlenderte, fand sie alles so, wie es ihr Harman geschildert
hatte: Viele fröhliche junge Leute in einer fröhlichen Siedlung. Trotz der
tropischen Umgebung und der Bungalow-Bauart hatte Alice etwas von einem
englischen Villenvorort, so daß sich das englische Mädchen unvermutet heimisch
fühlte. Jedes Haus stand in einem Garten, den ein Zaun oder eine Hecke
gemütlich umgab. Die Wege waren wie englische Wege abgesteckt und die Gehsteige
mit schattigen Bäumen bepflanzt. Wenn sie die Augen gegen die Macdonnell Ranges
abschirmte, fühlte sich Joan nach Bassett, dem Ort ihrer Kindheit
zurückversetzt, verstand, warum Alice von allen gerühmt wurde, und wußte, an
einem solchen Ort, in einem dieser Häuschen und mit zwei, drei Kindern könnte
sie das glücklichste Leben führen.
    Auf dem Rückweg geriet sie auf die
Hauptstraße und betrachtete die Läden. «Richtig!» hätte der Ringer Harman
gesagt; da gab es alles, was ein vernünftiges junges Frauenzimmer nur wünschen
konnte: einen Frisier- und Schönheitssalon, zwei Modegeschäfte, zwei Kinos...
Sie ging in die Milchbar, es war gegen neun, und bestellte sich eine
Eislimonade. ‹Wenn sich das «Outback» nennt, gibt es, weiß Gott, schlimmere
Orte!›
    Am folgenden Morgen ging sie nach dem
Frühstück ins Office zur Directrice, einer Mrs. Driver, und fragte sie, wie sie
es wohl am besten anstellen könne, um einen Vetter, der seit bald zehn Jahren
nichts mehr von sich habe hören lassen, hier zu ermitteln. Sie erzählte ihr Märchen
von der Schwester in Adelaide und dem Versprechen, das sie dem Onkel gegeben
hatte, sich in Alice Springs nach seinem Joe zu erkundigen.
    Mrs. Driver war interessiert. «Wie
heißt er denn?»
    «Joe Harman.»
    «Der draußen in Wollara?»
    «Richtig!» entfuhr es Joan
unwillkürlich. «Ist er noch dort?»
    Mrs. Driver schüttelte den Kopf. «Er
war nach dem Krieg öfters hier, aber nur das erste halbe Jahr; danach hat er
sich nicht mehr blicken lassen. Ich bin erst während des Krieges nach Alice
gekommen; von früher weiß ich nicht viel. Ich habe nur gehört, er war bei den
Japanern gefangen. Ich muß Ihnen leider sagen, daß die mit Ihrem Vetter ganz
abscheulich umgegangen sind. Bei seiner Rückkehr hatte er böse Narben an den
Händen.»
    Joan tat, als ob die Nachricht sie sehr
überrasche. «Wissen Sie, wo er jetzt ist, der Arme?»
    «Vielleicht weiß es einer von unserm
Personal; ich habe leider keine Ahnung.»
    Old Foster, Hausdiener und
Installateur, der seit dreißig Jahren in Alice Springs lebte, gab Auskunft.
    «Joe Harman ist wieder nach Queensland;
da ist er ja her. Nach dem Krieg war er etwa sechs Monate in Wollara. Nachher
hat er einen Posten als Stationsmanager

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