Eine tödliche Erinnerung (German Edition)
gesprochen."
Melissa nickte, ihre Tränen waren versiegt und sie wirkte jetzt völlig apathisch. Ich musste etwas tun, um sie aus dieser Stimmung herauszuholen.
Die Gräber machten einen kalten und trostlosen Eindruck auf mich. Fast die gesamte Fläche wurde von einer polierten, schwarzen Granitplatte bedeckt, in die drei geknickte Rosen eingraviert waren. Begrenzt wurde sie von einer akkurat geschnittenen Buchsbaumhecke, doch darüber hinaus gab es kein Grün und keine Blume. Vorn steckte ein ovales Metallschild mit der Aufschrift Pflege im Boden. Der schwarze Granit wirkte erdrückend. Es sah fast aus als sollten die Toten gehindert werden, sich aus ihren Gräbern zu erheben.
"Was meinst du Melissa", fragte ich, "wollen wir ihnen nicht ein paar Blumen bringen? Ich habe da vorhin einen Pfeil gesehen, der auf eine Friedhofsgärtnerei hinwies. Wir sollten dem mal nachgehen."
Immer noch lethargisch, aber bereitwillig folgte mir Melissa. Die Friedhofsgärtnerei war geöffnet und ein Schild wies darauf hin, dass sich hier gleichzeitig die Friedhofsverwaltung befand. Das Angebot war reichlich und bei der Auswahl der Blumen kam wieder etwas Leben in Melissa.
"Wir sollten etwas nehmen, was man fest einpflanzen kann, nicht nur Sträuße, die verwelken zu schnell", meinte sie. Dann entschied sie sich für drei herrliche, blühende Alpenrosen in Tiefrot, Weiß und zartem Rosa.
Die Friedhofsgärtnerin, die uns bediente, nickte anerkennend zu Melissas Wahl: "Daran werden Sie lange Freude haben. Die entwickeln sich prächtig in dem Waldboden hier. Natürlich muss man sie immer schön gießen."
Melissa sah mich erschrocken an, doch ich beruhigte sie: "Die Gräber sind doch in Pflege, da ist das Gießen sicher inbegriffen."
"Selbstverständlich ist es das, die Pflege wird von uns ausgeführt, da dürfen Sie ganz unbesorgt sein", bestätigte die Friedhofsgärtnerin.
Das brachte mich auf einen Gedanken. Melissa hatte nach Verwandten recherchiert, aber niemanden gefunden, da der Name Morgenroth kam in Gröbeneck nicht weiter vorkam. Aber wer bezahlte dann die Pflege für die Grabstelle? Als ich die Frau danach fragte, machte sie ein abweisendes Gesicht.
"Das darf ich Ihnen nicht sagen, auch bei uns gilt der Datenschutz. Aber", fügte sie versöhnlich hinzu, "in diesem Falle betrifft es keine lebende Person. Zusammen mit der Grabstelle wurde damals auch gleich der Pflegevertrag für die gesamte Laufzeit bezahlt. Immer mehr Menschen machen das jetzt so. Dann sind sie abgesichert, falls sich die Angehörigen nicht um das Grab kümmern können. Oder falls gar keine Angehörigen mehr da sind."
Die Frau borgte uns dann freundlicherweise noch einen kleinen Spaten und eine Harke. "Legen Sie es einfach hinter den Stein, wenn sie fertig sind", sagte sie, "ich nehme es später wieder mit."
Wir pflanzten die Alpenrosen zwischen Stein und Granitplatte ein. Melissa war jetzt eifrig bei der Sache.
"Weißt du eigentlich, welche Botschaft die Alpenrose übermittelt?", fragte sie mich. "Sie sagt: Wir wollen uns bald wiedersehen. "
"Tatsächlich? Das ist interessant, das wusste ich nicht." Auf Melissas morbiden Unterton ging ich absichtlich nicht ein. "Kennst du dich mit der Blumensprache aus?"
Melissa nickte. "Schon die Alten Meister haben sie in ihren Gemälden benutzt. Dass die weiße Lilie für die Reinheit der Madonna steht, das weiß ja jeder. Aber es gibt da noch ganz viele Feinheiten, in unserem Malereikurs auf Dahrenried haben wir zeitweise einen richtigen Kult um die Blumensprache entwickelt. Man kann einem Portraitierten kleine Gemeinheiten mitgeben, ohne dass er es mitbekommt. Die Gladiole sagt: Du bist zu stolz , eine Sonnenblume steht für zu hohe Ansprüche. Aber es geht sogar noch gemeiner: Die Akelei bezeichnet den Schwächling und die Erdbeerblüte stichelt: Du bist zu unreif. Fies ist auch die Aster, das ist die Blume der Untreuen und der Verräter. Du hast allerdings einen sehr schönen Blumennamen, denn die Iris bedeutet ich kämpfe um dich . Das passt ja nun wirklich total gut zu dir."
Wir hatten unser Werk vollendet. Nun setzen wir uns gemeinsam auf die Bank und ließen es auf uns wirken. Das Grab sah jetzt viel freundlicher aus.
Plötzlich stutzte Melissa. "Die Daten!", flüsterte sie. "Da stimmt etwas nicht."
Ich wusste, was sie meinte. Mir war es gleich aufgefallen, während sie völlig auf ihren Bruder fixiert gewesen war. Ihr Vater war zuerst gestorben. Die Mutter und der Bruder starben aber erst fünf Tage
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