Eine Tote im Arm
Abend hat sich zu einer
Krise entwickelt. Ich brauche Hilfe, Beistand, das mitfühlende Verständnis, das
nur eine Frau bieten kann. Meine Mutter lebt in Connecticut, und sie hat sich
ohnehin nie viel aus mir gemacht. Ich brauche den linden Balsam weiblichen Verständnisses auf meine Wunden, die tröstliche Berührung
einer weiblichen Hand, die mir ein riesiges Quantum Alkohol einflößt, in einem
ihrer eigenen zarten, pfundschweren Kristallgläser. — Darf ich hineinkommen ?«
»Mr. Holman «, die Stimme des weiblichen Elektronenrechners
zitterte vorübergehend, »fühlen Sie sich auch ganz wohl ?«
»Nein«,
sagte ich erschöpft. »Ich fühle mich scheußlich. Das hat möglicherweise mit der
Tatsache zu tun, daß ich vor etwa einer Stunde von demselben Mann, der mir vor
rund vierundzwanzig Stunden das Gesicht zerfleischt hat, eines über den Schädel
bekommen habe. Vielleicht hat er mir einen Minderwertigkeitskomplex
aufoktroyiert. Oder liegt es an der plötzlichen Erkenntnis, daß ich ein
Versager bin? Wie dem auch sei, ich brauche Sie. Öffnen Sie ihr mitleidiges Tor
weit, Hilda Jones, tüchtige Schwester elektronischer Barmherzigkeit, und lassen
Sie mich hinein !«
»Aber,
Mr. Holman !«
»Rick«,
sagte ich mit Festigkeit. »Sie nennen mich Rick, und ich werde Sie alles andere
als Hilda nennen .«
Mir
wurde langsam klar, daß der Turban um ihren Kopf keineswegs ein Turban, sondern
nur ein Badetuch war; und ihre Brillengläser waren zudem leicht beschlagen.
»Aber
ich komme eben erst aus dem Bad«, sagte sie unsicher.
»Baden
Sie mit der Brille ?« sagte ich laut und verwundert.
»Was, fürchten Sie, könnte Ihnen entgehen ?«
»Bitte!«
Sie blinzelte erwartungsvoll in meine Richtung, sichtlich in der Hoffnung, mich
verschwinden zu sehen. »Haben Sie vielleicht getrunken ?«
»Keinesfalls
genügend«, versicherte ich ihr, »und jetzt eben überhaupt nicht. Ich brauche Hilfe,
Mitleid, Sympathie, Verständnis und — da Sie es schon erwähnen — etwas zu
trinken .«
»Na
ja«, sagte sie mit einem bemerkenswerten Mangel an Begeisterung in der Stimme.
»Warten Sie hier ein paar Sekunden, damit ich ins Schlafzimmer zurückgehen und
mir etwas anziehen kann — dann können Sie hereinkommen .«
»Ist
das Ihr Ernst ?« Ich blickte sie mit neuerlichem
Respekt an. »Sie haben das Handtuch um Ihren Kopf gewunden, bevor Sie die Tür
öffneten, weil Sie den Gedanken, jemand könnte Sie mit unordentlichen Haaren
sehen, nicht ertrugen, aber im übrigen sind Sie
nichts als ein schimmerndes, rosiges...«
»Sie
warten hier, bis Sie bis zehn gezählt haben — und zwar langsam !« seufzte sie und zog dann abrupt den Kopf zurück.
Ich
zählte in Windeseile bis sechs und war dann fast mit einem Satz in der Wohnung,
aber ihr gerissener, flinker Verstand mußte schon von vornherein die
Möglichkeit, mich hinters Licht zu führen, einberechnet haben, als sie die »Z eit-und-Entfernung=gewahrte-Sittsamkeit«- Formel
elektronisch kombiniert hatte, denn sie war verschwunden. Ich zuckte also
philosophisch die Schultern, schloß die Tür, und ging dann ins Wohnzimmer und
ließ mich dort auf der Couch nieder. Ich hatte genügend Zeit, um eine Zigarette
fast zu Ende zu rauchen, die Einrichtung zu bewundern und mich sogar vage über
Hilda Jones’ Neigung für japanische Stühle, schwarze Teppiche und in fröhlichen
bunten Farben gehaltene abstrakte Bilder zu wundern. Dann öffnete sich die
Schlafzimmertür, und eine Lady, die ich nie in meinem ganzen Leben zuvor
gesehen hatte, kam ins Zimmer spaziert.
Sie
war ein prächtiger Rotkopf, und ihr tizianfarbenes Haar stürzte wie ein glitzernder Wasserfall über ihre Schultern. Ein schwarzer
Seidenmorgenrock wurde fest um ihre schmale Taille zusammengehalten und schmiegte
sich voller Eifer um die volle Rundung ihrer reifen üppigen Brust. Bei jedem
Schritt öffnete sich der Morgenrock weit genug, um einen schwindelerregenden
Ausblick auf gebräunte runde Oberschenkel freizugeben. Ihre Füße staken in
einem Paar schwarzer Satinpantoffeln mit den dekadentesten rosa Pompons, die
ich je gesehen hatte und die auf ihrem Spann offensichtlich Cancan tanzten.
»Jetzt
sehen Sie aus, als ob Sie einen Schock erlitten hätten«, sagte die vertraute
Stimme mit Mißtrauen .
Ich
blickte in zwei riesige, weiche leuchtendviolette Augen und dachte, nicht
jedermann erlebe das Wunder einer Verwandlung mit eigenen Augen.
»Ich
werde einen Arzt rufen«, sagte sie nervös.
»Sie
sind schön«, murmelte
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