Eine unbegabte Frau
Flusses ein englisches Handelsschiff auf. Man hatte es vom Kanonenboot aus drahtlos benachrichtigt. Über den mit Sandsäcken geschützten Decks richteten sich Kanonenrohre nach allen Seiten.
Sofort eröffneten die Geschütze vor dem Hause, in dem David Davis gefangen saß, das Feuer. Wie Federbüsche tanzten die Einschläge auf dem Wasser und zeichneten ein springlebendiges Muster um das Handelsschiff. Die Feuergarben verrieten den Engländern die Artilleriestellungen der Kommunisten, und sie konnten mit ihren Bordkanonen den Angriff kräftig beantworten. Den raschen Siegern vom Tag zuvor wurde es nun doch etwas unbehaglich, als Bäume und Büsche, Menschen und Mauerbrocken nur so in die Luft flogen. Diesen Augenblick allgemeiner Überraschung nutzte der Kapitän des Kanonenbootes; er lichtete seinen Anker; zugleich spien seine Kanonen ihre Ladung bis vor das Haus, in dem Davis gefangen saß, so daß seinen Wächtern der Spaß an der Schießerei rasch verging. Davis fand, daß bei dieser allgemeinen Verwirrung seine Gegenwart nicht unbedingt erforderlich wäre, und entfernte sich schnell durch die Hintertür. Sein Abgang wurde von niemandem bemerkt, er rannte den Berg hinauf und erreichte unbesetztes Gelände mit nicht sehr viel östlicher Würde, aber um so größerer Geschwindigkeit. Als er drei Tage später in bewohnte Gegenden weiter flußabwärts zurückkehrte, erfuhr er, daß bei der Aktion mehrere Matrosen getötet und verwundet worden waren, daß es aber beiden Schilfen gelungen sei, stromab zu entkommen. — Da ohnehin seine Zeit beim Internationalen Zoll abgelaufen war, fuhr er nach England, wo seine junge Frau auf ihn wartete.
Seine Rückkehr nach China als Missionar ließ sich ebenso gefährlich und dramatisch an. Gladys war über Tientsin nach Schansi gereist, teils mit der Bahn, teils auf dem Maultier. Die Familie Davis verließ in Pao Ai Honam südlich des Gelben Flusses die Eisenbahn und zog dann im Maultiersattel nordwärts durch die Berge nach Tsechow. Ihr Gepäck sollte folgen. Als aber nach längerem Warten nichts davon eintraf, kehrte David Davis zum Gelben Fluß zurück, um selbst nach dem Rechten zu sehen. Mit einiger Energie gelang es ihm bald, den Transport in Gang zu setzen, das Gepäck wurde auf einem Maultierzug verladen, und er selbst schloß sich der Karawane an. Einige Tage waren sie schon unterwegs, da tauchten plötzlich im einsamen Berggelände hinter Felsbrocken ein Dutzend Banditen auf, und Davis lernte das unbehagliche Gefühl des Menschen kennen, der eine deutsche Mauserpistole haarscharf auf seinen Magen gerichtet sieht. Alle Gepäckstücke wurden aufgeschnitten und aufgebrochen, doch nachdem die Beute schon fest auf die Pferde geschnallt war, konnte sich das Gesindel nicht einigen, was mit dem weißen Mann geschehen sollte. Einige fanden, daß er das ideale Objekt für ein Lösegeld wäre — andere drängten darauf, das »Beweismaterial« zu vernichten, indem man ihn gleich niederknallte und in eine Schlucht warf. Schließlich, nach längerer Streiterei, wandte sich einer, der der Häuptling zu sein schien, zu ihm und schrie ihn an: »Fort!« Davis machte sich dankbar davon, so schnell er konnte. Von einem hochgelegenen Versteck aus sah er die Bande davonreiten mit allem, was er so schwer erspart und nach China verfrachtet hatte. Er mußte sich damit trösten, daß seine Frau wenigstens noch nicht Witwe geworden war.
Die Jahre vergingen. Oft sah Gladys die Familie Davis monatelang nicht; denn die Reise nach Tsechow verschlang immerhin zwei Tage, und ihre Arbeit führte sie meist in die noch entlegeneren Täler des Gebiets. Daß sie in diesen weltabgeschlossenen Dörfern Spuren hinterließ, daran war kein Zweifel; noch heute hört man dort Männer und Frauen bei der Arbeit ungewöhnliche Melodien singen: es sind christliche Choräle. Gladys konnte viele unter ihnen zum Christentum bekehren. Diejenigen, die mit innerem Ernst die neue Religion aufnahmen, stellten ihr Leben vollkommen um.
Den Bauern erschien das Christentum nicht als Vorläufer fremden Machtanspruchs: es brachte besonders den Frauen eine neue Daseinsform; endlich hatten sie nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte im gemeinsamen Haushalt. Sie und ihre Töchter wurden nicht mehr verkauft oder durch eine zweite oder dritte Frau ersetzt. Die Götzenbilder wurden verbrannt. Die Familie bildete fortan eine Gemeinschaft, die zusammen arbeitete und nicht mehr der Willkür des Mannes allein unterworfen war.
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