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Eine unbegabte Frau

Eine unbegabte Frau

Titel: Eine unbegabte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Burgess
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nicht heraus!«
    Dann hörte sie eine Stimme, die ihr bekannt vorkam, gedämpft durch den Schutt, der auf ihrem Körper lag: »Hier müssen sie sein, ich weiß, daß sie hier sind! Unter den Trümmern!«
    Ihr schienen es Stunden, bis sie endlich spürte, daß der Schutt abgetragen wurde, und dann hatten sie sie gefunden. Ein schwerer Tragbalken hatte sie niedergeworfen, und es war ein Wunder, daß er sie nicht erschlagen hatte. Sie fühlte sich zerschunden und elend, klopfte aber ihr Kleid ab und half erst einmal, den Koch und die anderen Verschütteten herauszuziehen. Chang zeigte sich von seiner allerunchristlichsten Seite. Er fluchte in Worten, von deren Existenz im Schansidialekt Gladys kaum etwas ahnte. Von Schrecken geschüttelt, saßen die Frauen zitternd und weinend auf den Trümmern. Alle hatten Schürfungen und Schnittwunden davongetragen, doch war keine ernstlich verwundet. Die Flugzeuge hatten inzwischen abgedreht, aber die Menschen waren noch immer von Panik besessen. Verwirrung herrschte überall.
    Ein Mann sprang wie geistesgestört von einem Fuß auf den anderen. »Drinnen in der Stadt ist es entsetzlich«, schrie er. »Man kann nirgends durch, alle sind tot, es ist entsetzlich, es ist fürchterlich!«
    »Dann müssen wir sehen, ob wir helfen können«, sagte Gladys grimmig. »Hören Sie auf mit dem Gezeter, kommen Sie lieber mit und helfen Sie anpacken!« Im Schlafzimmer stand ihr Arzneiköfferchen; es enthielt eine große Flasche Lysol — jetzt zerbrochen —, eine Flasche mit Permanganat-Kristallen, eine Büchse Borsäurepulver und Watte. Schnell riß sie ihre beiden Bettlaken in bindenartige Streifen und machte sich auf den Weg zum Osttor.
    Für den Anblick, der sich ihr nun bieten sollte, hatte nichts in ihrem bisherigen Leben sie vorbereitet. Die Wälle und das Tor hatten kaum Schaden genommen, aber das Stadtinnere schien gänzlich verwüstet. Tote und Sterbende, Verwundete und vom Luftdruck Niedergeworfene lagen überall, denn die Straßen waren voller Menschen gewesen. Auf der Hauptstraße türmten sich die Trümmer kniehoch und höher, halbbegraben darunter die Opfer. Menschen, die sich nicht befreien konnten, schrien um Hilfe. Eine oder zwei Sekunden zögerte Gladys am Tor, vor der Aufgabe zurückweichend, die ihrer harrte. Was sollte sie hier anfangen mit ihrer Flasche Permanganat, ihren paar Binden und ihrer Borsäure! Aber das Gefühl der Nutzlosigkeit verging so schnell, wie es gekommen war. Ein schwatzender Haufen Zuschauer am Tor bekam sogleich ihre Energie zu spüren. »Ich brauche euch alle«, fuhr sie sie barsch an. Die Männer machten einen Augenblick verdutzte Gesichter, dann aber befolgten sie gehorsam ihre Anweisungen. »Nur zu! Ihr müßt alle helfen! Ihr zwei, räumt einmal dort den Trümmerhaufen fort, es liegt jemand darunter. Ihr drei geht und holt Eimer mit Wasser — aber heißes Wasser. Ihr — eins, zwei, drei, vier, fünf — ihr macht die Hauptstraße frei, so daß man durchkommen kann. Alle Toten tragt ihr hinaus und legt sie außerhalb der Tore hin. Versteht ihr? Also — gehen wir an die Arbeit.«
    Diesem Chaos aus Schutt, Mauerwerk und Schmerzen versuchte Ai-weh-deh mit einem Gemisch aus »Erster Hilfe« und gesundem Menschenverstand beizukommen. Da lag eine Frau, Blut strömte über ihr Gesicht. Sie sah mit angsterfüllten Augen auf. Gladys legte ein großes Stück Watte auf die Wunde und riß ein Stück Binde ab, um sie zu befestigen. Die Verletzung war nicht gefährlich.
    »So, liebe Frau. Nun bleiben Sie ein paar Minuten liegen, bis Sie sich besser fühlen, und dann stehen Sie auf und gehen nach Hause. Nicht wahr?« Die Frau nickte schwach. »Ja«, sagte sie leise. Der Stimme hörte man die Erleichterung an, und der Schrecken wich aus ihren Augen.
    »Wo wohnen Sie?«
    »Draußen vor der Mauer in der Straße der Drei Schwäne.«
    »Können Sie wohl bis dorthin laufen, wenn ich jemanden schicke, der Ihnen hilft?«
    »Ich werde es versuchen.«
    Gladys rief einen der Männer, die am Schutthaufen arbeiteten. »Bitte«, sagte sie, »diese Frau wird in einigen Minuten so weit bei Kräften sein, daß sie nach Hause laufen kann. Begleiten Sie sie in die Straße der Drei Schwäne. Wenn sie nicht mehr weiterkommt, tragen Sie sie. Machen Sie es ihr in ihrem Haus ein bißchen bequem, dann kommen Sie wieder her, es gibt noch viel Arbeit. Vielen Dank!«
    Der Mann nickte. »Ja, Ai-weh-deh«, sagte er fast demütig. Er half der Frau aufzustehen, sie legte den Arm tun seine

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