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Eine unbegabte Frau

Eine unbegabte Frau

Titel: Eine unbegabte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Burgess
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Tageslicht aufmachen mußte. Sie trat zu ihrem kleinen Holzkasten auf dem Brett in der Ecke und begann all ihre Papiere und Briefe herauszunehmen. Sie wollte sie, ehe sie ging, verbrennen. Nicht das geringste Belastungsmaterial durfte hier in der Mission verbleiben. Als es vor dem Fenster zu dämmern begann, war sie noch immer beschäftigt, hatte aber alles Nötige erledigt. Die Sonne war schon aufgegangen, als sie, in der Hand die Bibel und den Zettel, aus dem Hause trat. Draußen machte soeben einer der chinesischen Ältesten, ein guter Christ, den sie seit vielen Jahren kannte, seinen Morgenspaziergang. Fast scherzhaft hielt sie ihm das kleine viereckige Papier hin. Er nahm es, sah es nachdenklich durch und wandte sich ihr dann mit sehr ernstem Ausdruck wieder zu.
    »Um Gottes willen, und Sie sind noch hier?!« rief er erschocken. »Sie hätten sofort fliehen müssen!«
    »Ich gehe schon«, antwortete sie. »Ich will gerade den Pförtner bitten, mir ein Maultier bereitzuhalten.«
    Als sie das Gelände bis zum Eingangstor durchschritt, fühlte sie die Sonne warm auf ihrem Rücken. Ihre Füße in den dünnen Schuhen wirbelten winzige Staubwölkchen auf. Mao, der Pförtner, schaute durch das kleine runde Fensterchen in der Außentür, als sie hereintrat.
    »Mao«, sagte sie, »ich muß sofort gehen. Würden Sie mir bitte so schnell wie möglich ein Maultier satteln lassen?« Sein rundes Gesicht mit dem Doppelkinn wandte sich ihr langsam zu. Er sah wie ein Kürbis aus, hatte die gleiche hellgelbe Farbe und feuchte Bächlein als Augen. Meist war dieses humorige Gesicht in lauter lächelnde Falten verzogen, jetzt aber sah es ernst aus. Sein enger, runder schwarzer Hut schien seine Stirn zusammenzudrücken.
    »Sie müssen erst einmal einen Blick vor die Tür werfen«, sagte er. »Es wäre gefährlich, jetzt hinauszugehen.«
    Gladys trat zu ihm und legte ihr Auge an das kleine Guckloch. Man sah einen Teil der Straße, die rechts um die Stadtmauer herumlief und auf das Haupttor zuführte. Ein Trupp japanischer Soldaten marschierte eben durch das Stadttor. Sie trat von dem Fensterchen zurück und mußte ihre ganze Kraft zusammennehmen, um die aufsteigende Panik zu besiegen, die ihr plötzlich die Kehle verengte. Als sie sich umwandte, sah sie, daß aus irgendeinem unbekannten Grunde der Koch Mesang ihr gefolgt war. Er zeigte mit seinem drallen Finger auf sie.
    »Sie sollten schon fort sein! Sie sollten schon längst fort sein!« rief er laut. Sie sah ihn wortlos an, zu bestürzt, um zu sprechen. Dann drehte sie sich um und begann den gleichen Weg zurückzugehen, quer durch das Lager, den sie eben gekommen war, und während sie ging, schwoll dieses Gefühl betäubender Angst, wie das Geräusch eines Zuges, der sich nähert und dabei zugleich seine Geschwindigkeit erhöht, in ihr fast zu einem Donnern an. Ihre Füße bewegten sich schneller, sie fiel in Trab, dann plötzlich lief sie so schnell sie konnte. Ihr Ziel war das hintere Tor, jenes Tor, durch das sie, seit die Mission bestand, die Toten hinaustrugen. Als sie durch den Hof rannte, an der Davisschen Wohnung vorbei, ließ der Gedanke an ihre Fremde sie innehalten. Impulsiv griff sie eine Handvoll Kies auf und schleuderte ihn gegen die Fensterscheiben. In der nächsten Sekunde war David am Fenster, in Hemdsärmeln, also wohl gerade beim Aufstehen. Sie sah nur seinen Kopf und die Schultern, als er zu ihr hinaussah. Klar hörte sie seine Stimme:
    »Haben Sie Angst, Gladys? Warum fürchten Sie sich?« da plötzlich griff wieder die erstickende Angst nach ihr; ohne noch ein Wort zu erwidern, rannte sie auf das hintere Tor zu. Es war offen, sie lief hindurch. Hier draußen war der Fremdenfriedhof, Brachland, unterbrochen von den Grabhügeln. Dahinter lag der flache grasüberwachsene Graben, der die Stadt umgab, rechts aber erblickte sie ein grünes Weizenfeld, dessen Halme zwar noch nicht die volle Höhe hatten, aber doch hoch genug waren, um sie zu verbergen. Dieses ganze Bild war ihr schon innerlich gegenwärtig gewesen, während sie durch das Tor lief, zugleich aber wurde ihr bewußt, daß sie einen verhängnisvollen Fehler gemacht hatte. Wenn auch das vordere Tor näher am Stadteingang lag, so konnte doch der Fluchtweg vom hinteren Tor aus leicht eingesehen werden von jedem, der sich auf der großen Landstraße näherte. Auf dieser Straße marschierten in regelmäßigen Abständen einzelne Kompanien in die Stadt. Gladys war genau in ihr Blickfeld hineingelaufen. Eine

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