Eine Unheilvolle Liebe
Wahl zum hübschesten Baby des Jahrmarkts, bei der um die rosigsten Wangen und die am schönsten gewickelten Windeln gekämpft wurde, zog mehr Zuschauer an als das Autoschrotten beim Demolition Derby. Letztes Jahr war das Baby der Skipetts disqualifiziert worden, weil es gemogelt hatte: Die rosige Gesichtsfarbe war an den Händen der Schiedsrichter kleben geblieben. Es herrschten strenge Regeln – keine Gesellschaftskleidung, wenn man nicht mindestens zwei Jahre alt war, keine Schminke für unter Sechsjährige und für Mädchen bis zwölf nur »altersgerechtes« Make-up.
Meine Mutter hatte sich immer wahnsinnig über Mrs Snow aufgeregt, besonders der Pfirsichwettbewerb war ihr ein Dorn im Auge gewesen. Ich höre noch ihren Spott. »Altersgerechtes Make-up? Was denkt ihr euch nur dabei, Leute? Welches Make-up ist für eine Siebenjährige bitte altersgerecht?« Trotzdem hatten wir das Fest nie versäumt, außer im letzten Jahr. Und jetzt waren wir auch wieder da und trugen Pasteten und Kuchen durchs Gedränge auf den Festplatz, so wie immer.
»Rempel mich nicht an, Mitchell. Ethan Wate, beeil dich. Ich werde nicht zulassen, dass mir Martha Lincoln oder eine andere dieser Frauen den ersten Preis streitig macht, nur weil ihr beiden Jungs trödelt.« Diese Frauen , das war bei Amma der Sammelbegriff für Mrs Lincoln, Mrs Asher, Mrs Snow und den Rest der TAR .
Als wir endlich angekommen waren und ich mir am Eingang die Hand abstempeln ließ, schien die gesamte Einwohnerschaft aus drei oder vier Bezirken schneller als wir gewesen zu sein. Niemand wollte die Eröffnungsfeier verpassen, und alle versammelten sich auf dem Festplatz, der auf halbem Weg zwischen Gatlin und Peaksville lag. Ein Ausflug zum Jahrmarkt bedeutete eine gesundheitsgefährdende Menge an Schmalzgebäck und eine derart schwüle Hitze, dass man schon vom bloßen Herumstehen ohnmächtig werden konnte; und wenn einem das Glück hold war, dann konnte man hinter den Hühnerställen der Future Farmers of America vielleicht ein bisschen rumknutschen. Außer auf Hitze und Gebäck standen meine Chancen in diesem Jahr allerdings nicht sonderlich gut.
Brav folgten mein Vater und ich Amma zu den Tischen der Jury, die in einem riesigen Zelt von Southern Crusty standen. Der Backwettbewerb hatte jedes Jahr einen anderen Sponsor, und wenn es nicht Pillsbury oder Sara Lee war, dann begnügte man sich eben mit Southern Crusty. Die Leute sahen gern bei den Schönheitswettbewerben zu, aber die Schlacht um die besten Kuchen war das Herzstück der Veranstaltung. Seit Generationen hatten immer die gleichen Familien immer die gleichen Kuchen gebacken und die errungenen Siegerschleifen waren der Stolz jedes angesehenen Haushalts im Süden und eine Schande für die anderen. Das Gerücht ging um, dass sich einige Frauen vorgenommen hatten, Amma in diesem Jahr den ersten Preis abzujagen. Dem Gemurmel nach zu urteilen, das in der vergangenen Woche tagelang aus unserer Küche drang, würde das aber nur geschehen, wenn die Hölle einfrieren und diese Frauen dort Schlittschuh fahren würden.
Als wir unsere kostbare Fracht abgeladen hatten, nervte Amma die Juroren bereits, weil sie die Kuchen falsch auf dem Tisch anordneten. »Man kann keinen Apfelessigkuchen neben einen Kirschkuchen stellen, und man kann erst recht keinen Rhabarberkuchen zwischen meine Torten stellen. Das verdirbt den Geschmack völlig – es sei denn, ihr Burschen legt es genau darauf an.«
»Jetzt geht’s los«, sagte mein Dad leise. Und während er das sagte, warf Amma den Juroren einen Blick zu, dass sie auf ihren Klappstühlen zu Zwergen schrumpften.
Dads Blick glitt unwillkürlich Richtung Ausgang, und als hätten wir uns abgesprochen, machten wir uns schleunigst aus dem Staub, ehe Amma uns dazu anstiften konnte, unschuldige freiwillige Helfer und Juroren in Angst und Schrecken zu versetzen. Kaum waren wir der Gefahr entronnen, wandten wir uns beide in entgegengesetzte Richtungen.
»Willst du etwa mit der Katze über den Jahrmarkt gehen?«, fragte mein Vater mit Blick auf Lucille, die um meine Füße strich.
»Sieht ganz danach aus.«
Er lachte amüsiert, was mich überraschte. Ich war es nicht mehr gewohnt, ihn lachen zu hören. »Pass auf, dass du keinen Ärger bekommst.«
»Krieg ich schon nicht.«
Dad nickte mir zu, so wie ein Vater einem Sohn zunickt. Ich nickte zurück und gab mir Mühe, nicht an das vergangene Jahr zu denken, als ich der Erwachsene und er nicht mehr Herr seiner Sinne gewesen
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