Eine unzüchtige Lady
gelaufen bist. Wenn ich doch nur den Akt auslöschen könnte, der dazu führte. Sei versichert, ich würde es tun. Ich übernehme die volle Verantwortung. Schließlich bin ich älter, aber offenbar bin ich in diesen zusätzlichen Jahren nicht weiser geworden.
Verlockender ist da meine Erinnerung an unseren Kuss. Vielleicht sollte ich mich dafür entschuldigen, aber wenn ich ehrlich bin, kann ich das nicht. Es tut mir nicht leid, dass es passiert ist. Mir tut nur leid, wie abscheulich ich mich danach verhalten habe. Bitte nimm meine zutiefst reuige Entschuldigung an.
Ich kann Dir nicht sagen, wie sehr ich mich danach sehne, dass Du mich wieder anlächelst.
Für immer der Deine, in aller Aufrichtigkeit
Derek Drake, sechster Earl of Manderville
verfasst am heutigen Tage, dem 21. November 1811
Annabel ließ das Stück Pergament durch ihre Finger gleiten. Ihre Hände zitterten. Sie beobachtete, wie der Brief zu Boden
fiel und dort liegen blieb, während ihre Kehle immer enger wurde und sie angestrengt schluckte.
Was wäre wohl passiert, wenn sie diesen Brief direkt nach seinem Eintreffen gelesen hätte? Es war müßig, darüber nachzudenken, weil sie damals noch in jenem Schockzustand der Desillusionierung war. Aber bestimmt wäre er so bedeutsam gewesen, dass sie ihn nicht weggeworfen hätte. Könnte ein Teil dieser Misere ihre Schuld sein? Schließlich hatte Derek nicht darum gebeten, ihr Märchenprinz zu werden, wollte nicht der Prinz ihrer Träume oder der gutaussehende Held ihrer mädchenhaften Fantasie sein. Er war nur ein Mann. Und ein Mann konnte fehlbar sein.
Er ist nicht perfekt, aber manchmal sind es gerade diese Gauner, in die wir uns verlieben …
Sie hatte ein Bild von ihm aufrechterhalten, das nicht echt war. Und als er diesem Bild nicht entsprach, hatte es ihre Welt zum Einsturz gebracht. Er war nicht gerade fehlerlos, ermahnte sie sich und erinnerte sich wieder an die Countess in seinen Armen. Aber andererseits war das vielleicht nicht allein sein Fehler.
Der Unterschied war wohl, dass er sich dafür entschuldigt hatte.
Das hatte sie nicht getan.
Kapitel 22
Der stickige Sitzungsraum war alles andere als gemütlich. Derek war unruhig und bewegte sich auf seinem Stuhl. Die Sitzung zog sich endlos hin, und er bekam langsam Kopfschmerzen. Erst als
das Gähnen in der Kammersitzung geradezu epidemische Ausmaße annahm, schien Lord Norton zu bemerken, wie langatmig seine Rede war. Schließlich wand er sich aus der Sache heraus, ohne ein nennenswertes Argument vorgebracht zu haben.
Wenn der Eifer, mit dem die Peers das House of Lords verließen, ein Hinweis war, dann war Derek nicht der Einzige, der sich zu Tode gelangweilt hatte. Es war eine Erleichterung, in die nachmittägliche Sonne hinauszutreten.
Er hatte vor einigen Tagen eine kurze Nachricht von Lady Wynn erhalten, in der sie von ihrer Unterhaltung mit Annabel berichtete. Sie drückte darin auch ihre Hoffnung aus, dass ihr Besuch erfolgreich gewesen sei und sie ihr Bestes gegeben habe. Wie ein unerfahrener Schuljunge war Derek an jenem Nachmittag in seinem Arbeitszimmer auf und ab getigert. Später am Abend saß er ruhelos in der Oper und sah eine schreckliche Vorstellung, die ihn nicht interessierte. Die einzige Erlösung an diesem Abend war die Tatsache, dass die Frau, die er liebte, nicht am Arm ihres Verlobten erschienen war. Wenigstens war er so nicht gezwungen, stillzusitzen und sich eifrig darum zu bemühen, nicht zu ihnen hinüberzusehen. Ein kleiner Trost in einer Situation, in der sich alles gegen ihn zu verschwören schien.
Jetzt hatte Derek also zwei Möglichkeiten. Er konnte sein lächerliches Kostüm anlegen und Caroline in den Nachtstunden aufsuchen, um sie anzuflehen, mehr Details ihrer Unterhaltung preiszugeben. Oder er konnte wieder in Annabels Schlafzimmer kriechen und sie persönlich fragen.
Keine der Möglichkeiten war besonders reizvoll. Beiden Impulsen hatte er beim ersten Mal eher spontan nachgegeben.
Derek war ein Mann, der nie unüberlegt handelte. Wenn er nicht gerade junge, unschuldige Ladys in Bibliotheken küsste oder ihre Schlafzimmer stürmte, um ungewollte und unerwiderte Liebeserklärungen abzugeben.
Nun, vielleicht war er doch hin und wieder etwas unüberlegt.
Verdammt.
Es war ihm klar, dass er vermuten musste, es liefe gut. Aber warum sollte er das denken? Es gab dafür keinen Grund. Annabel hatte ihn eiskalt fortgeschickt.
Aber nein, das hatte sie nicht. Nicht eiskalt. Sie hatte ihn
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