Eine verlockende Braut: Roman (German Edition)
mit neuen Kleidern, Schuhen und Hüten war im Herrenhaus eingetroffen, gerade rechtzeitig, bevor sie die Reise nach Norden in die schottischen Highlands antreten wollten. Das Haus hatte widergehallt von den Freudenrufen ihrer Schwestern, als sie sich vor dem großen Spiegel im Schlafzimmer ihrer Mutter im Kreis drehten und die Hüte in die Luft warfen, während jede herauszufinden versuchte, welcher Stil und welche Farbe ihr am besten stand.
Emma wusste, sie müsste sich doppelt schämen, wenn sie daran dachte, wie selten ihre Gedanken sich ihrem Bräutigam zuwandten, seit sie seinen Armen entrissen worden war. Sie bezweifelte, ob sein schwaches Herz noch viele solcher Schrecken verkraften konnte, bevor es ganz zu schlagen aufhörte. Jamie Sinclair konnte gerne versuchen, sie mit seinen Halbwahrheiten und seinem unvernünftigen Hass gegen den Earl aufzuhetzen, aber es würde ihr guttun, sich in Erinnerung zu rufen, wem ihre Loyalität zu gelten hatte.
Sie schälte sich aus dem in das Oberteil eingearbeiteten Korsett, als entkäme sie aus einem Käfig, und rieb sich die roten Striemen, die die Fischbeinstäbe auf ihrer zarten Haut hinterlassen hatten.
»Du kommst mir reichlich jung vor, um mit dieser Bande Gesetzloser zu reiten«, bemerkte sie an ihren Begleiter gerichtet, während sie zu dem Baumstumpf ging, um den Kleiderstapel darauf näher zu betrachten. Jamie hatte ihr ein langärmeliges Wams und ein Paar Hosen, die sicher als Pantalons durchgegangen wären, sofern sie unter einem Rock getragen wurden, besorgt. Was sie getan hätte, hätte sie einen Rock gehabt.
»Oh, Mylady, ich bin ausgewachsen. Nächsten Sommer werde ich vierzehn.«
So alt wie Edwina, die immer noch mit ihrer verschlissenen, aber geliebten Stoffpuppe im Arm schlief.
Mit finster gerunzelter Stirn zog sich Emma das Wams über den Kopf. Das Wildlederkleidungsstück reichte ihr bis zur Mitte der Oberschenkel. Das Leder fühlte sich auf ihrer Haut so weich wie Samt an, war aber dick genug, um sie vor dem scharfen Wind zu schützen. »Wie kommt es eigentlich, dass du dich so einem wilden Haufen angeschlossen hast? Hat Sinclair dich auch entführt?«
»Aye, Mylady. Er hat mich entführt, genau bevor die Axt des Wildhüters vom Hepburn-Laird niedersausen und mir die rechte Hand abhacken konnte.«
Emma wirbelte herum und drückte die Beinkleider an ihre Brust. Der Junge stand nach wie vor, so wie er es versprochen hatte, wachsam, jedoch mit dem Rücken zu ihr da. Fast erinnerte er sie an einen Soldaten, der die Anweisungen seines Offiziers befolgte.
Er musste ihr Luftschnappen gehört haben, weil er in sachlichem, ja sogar entschuldigendem Ton weitersprach. »Ich war beim Wildern ertappt worden, ein paar Hasen auf dem Land des Earls, wissen Sie. Es war ein langer Winter gewesen, und mein Pa und meine Ma waren am Scharlachfieber gestorben. Mein Bauch war leer und der Hunger so furchtbar, aber es war trotzdem meine eigene Schuld. Alle wissen, welche Strafe auf Diebstahl steht, und ich war damals fast neun, alt genug, um zu wissen, was ich tat.«
Beinahe überwältigt von Entsetzen hielt sich Emma mit einer Hand den Mund zu. Was für ein Monster würde seinen Dienern auftragen, einem hungrigen Kind die Hand abzuschlagen, weil es einen oder zwei Hasen gewildert hatte? Sicherlich würde doch ein zivilisierter Edelmann eine solche Abscheulichkeit nicht absegnen. Vielleicht war der Earl zu der Zeit in London in seinem Stadthaus gewesen, und der Wildhüter hatte eigenmächtig gehandelt, indem er so gnadenlos und ohne das Wissen des Earls eine derart harte Strafe verhängte.
»Was ist mit dem Wildhüter geschehen?«, fragte sie und bereute die Frage schon in dem Moment, da sie ihre Lippen verließ.
Sie musste das Gesicht des Jungen nicht sehen; das Lächeln konnte sie in seiner Stimme hören. »Der Earl musste einen neuen anstellen.«
Emma drehte sich langsam wieder zurück und strich mit den Fingern über den anschmiegsamen Stoff der Hose. Sie wollte nichts als Verachtung und Abscheu für Jamie Sinclair empfinden, aber alles, was sie vor ihrem geistigen Auge sehen konnte, war eine erhobene Axt, die im Sonnenlicht glitzerte, das schmale schmutzige Gesicht eines kleinen Jungen, bleich vor Schreck und Entsetzen.
Sie schüttelte den beunruhigenden Bann ab, den die Geschichte des Jungen über sie geworfen hatte, und schlüpfte in die Hose. Nachdem sie die Beine hochgekrempelt hatte, damit sie nicht über den Boden schleiften, passten sie fast perfekt.
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