Eine verlockende Braut: Roman (German Edition)
war nicht da.
»Mr Sinclair?«, rief Emma leise, während sie sich den Weg durch das dichte Unterholz suchte, das um das Lagerfeuer herum wuchs. »Mr Sinclair, sind Sie hier irgendwo?
Eine Stille, dick und erstickend wie der Nebel, folgte auf ihre Worte. Wenigstens war ihr nicht mit diesem entsetzlichen Schrei geantwortet worden. Wenn, dann – so fürchtete sie – wäre sie derart zusammengezuckt, dass sie aus Bons Stiefeln gefahren wäre.
Sie schob einen Vorhang aus verworrenen Ranken zur Seite und wagte sich ein paar Schritte weiter in den Wald. Der Nebel zog in weißen Schwaden an ihr vorbei, versperrte allen bis auf die hartnäckigsten Mondstrahlen den Weg. Sie hätte nicht sagen können, was sie dazu bewogen hatte, Jamie zu folgen. Sie wusste nur, sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er allein durch diese Wälder streifte, wo seine Eltern ermordet worden waren.
Sie hatte nicht vor, sich weit vom Lager zu entfernen. Sie schaute über ihre Schulter und erhaschte zwischen den Bäumen hindurch einen tröstlichen Blick auf das Lagerfeuer.
Ein lauter Krach, wie wenn ein Stiefel auf einen morschen Zweig trat, ließ sie wieder herumfahren. »Mr Sinclair?«, rief sie noch einmal halblaut und ging ein paar Schritte weiter in den Nebel. »Jamie?«, fügte sie hoffnungsvoll hinzu. Seinen Namen auszusprechen war für sie so unerträglich intim wie eine Liebkosung auf ihren Lippen.
Der Wald schien den Atem anzuhalten, es war ganz still, bis auf das Rascheln des Espenlaubs im Wind.
War sie es nicht gewesen, die im Brustton der Überzeugung erklärt hatte, sie lebten schließlich im Zeitalter der Vernunft? Sie war nicht abergläubisch. Oder ignorant. Aber selbst so wurde es schwierig, die Atmosphäre lauernder Gefahr zu ignorieren, die mit jedem Atemzug bedrückender zu werden schien.
Was, wenn dieser Wald wirklich verflucht war? Was, wenn dieser furchtbare Schrei nichts anderes war als eine Falle, um leichtsinnige Wanderer ins Verderben zu locken? Hatten Jamie und seine Männer nicht bereits zwei aus ihren Reihen unter ebendiesen Zweigen verloren?
Nach dem zu schließen, was seine Männer gesagt hatten, war einer spurlos verschwunden, während der andere mit seinem Pferd in einen Abgrund gestürzt war. Emma fragte sich unwillkürlich, wie viele unglückliche Seelen an diesem Ort verschollen oder verstorben waren seit jener furchtbaren Nacht, in der Jamies Eltern ermordet worden waren.
Sie fragte sich auch, ob sie wohl die Nächste sein würde.
Sie drehte sich einmal um sich selbst und entschied, es wäre wohl klüger, wenn sie ins Lager zurückkehrte, auch ohne Jamie, statt zu riskieren, dass ihre Einbildungskraft sie zu etwas Unüberlegtem trieb.
Das Lagerfeuer war verschwunden, das flackernde Licht von einer undurchsichtigen Nebelschwade verdeckt. Beinahe war es, als hätte sich der Nebel absichtlich hinter ihr geschlossen und ihr so den Weg zurück abgeschnitten.
Ihr Herzschlag ging schneller, unregelmäßiger. Kurz erwog sie, um Hilfe zu rufen, aber sie hatte Angst, wer – oder was – als Antwort darauf herkommen könnte.
Sie suchte sich ihren Weg durch gespenstisch weiße Baumstämme eines Birkengehölzes und war sich überdeutlich bewusst, wie ironisch das doch alles war. Wenn Jamie zum Lager zurückkehrte und entdeckte, dass sie nicht da war, würde er annehmen, sie habe die Gunst der Stunde genutzt und einen weiteren Fluchtversuch unternommen. Er würde niemals glauben, dass sie auf dem Weg zu ihm gewesen war, und nicht von ihm fort. Sie konnte es selbst kaum glauben.
Es bestand kein Grund zur Panik, sagte sie sich streng. Sie konnte nicht weit gekommen sein in so kurzer Zeit. Sie würde einfach die wahrscheinlichste Richtung einschlagen und bald wieder sicher am Lagerfeuer eintreffen.
Ihr Plan klang vernünftig, aber nachdem sie an ein paar hohen Kiefern vorbeigegangen war, die sich nicht im Mindesten von den Kiefern unterschieden, an denen sie vor vielleicht einer Viertelstunde vorbeigekommen war, musste Emma sich eingestehen, dass sie sich hoffnungslos verlaufen hatte. Der Nebel machte es ihr unmöglich zu unterscheiden, ob sie im Kreis lief, am Ende nicht mehr als einen Steinwurf vom Lager entfernt, oder ob jeder Schritt sie weiter von dort wegbrachte, wo sie eigentlich hinwollte.
Wieder brach ein Zweig. Sie erstarrte, hielt den Atem an. War es nur ihre übereifrige Phantasie, oder hörte sie wirklich hinter sich heimliche Schritte, durch den Nebel gedämpft?
Sie hatte gedacht, es sei
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