Eine von Zweien (German Edition)
Malen
gekommen und als ich erwähnte, dass ich früher sehr aktiv war, wurde mir für
unsere Osterauktion auferlegt ein Bild einzureichen. Ist das nicht verrückt?“
Ich hörte nur noch Atmen am anderen Ende der Leitung. Wieso
sagte sie denn nichts? Ok, sie musste sich ja nicht freuen, mich kritisieren
oder sagen, ich hätte doch so lange nicht mehr gemalt - vielleicht kann ich es
gar nicht mehr. Aber sie könnte wenigstens „Aha!“ sagen. Es wurde unerträglich.
„Hallo?“ sagte ich fordernd in den Hörer hinein.
„Sorry, Lissi, aber ich wusste jetzt nicht, wie ich reagieren
soll, ob du dann aufgelegt hättest und auch nicht mehr gemalt hättest, deshalb
habe ich erst mal versucht zu atmen.“
Ihre Aussage verunsicherte mich. Mein Bauch meldete sich zu
Wort. Wie so oft in den letzten Tagen Er krampfte und grummelte vor sich hin.
„Okay, wie hättest du denn reagieren wollen?“ ich war
vorsichtig mit meiner Frage, ich kannte schließlich meine Schwester, da war
alles zu erwarten. Plötzlich schrie sie mir in mein Ohr, dass ich fast taub
wurde.
„Wooohoooooooooooo, ich könnte schreien vor Freude. Lissi,
endlich! Ich bin mir sicher, dass du das brauchst! Du hast dir dieses Ventil
schon viel zu viele Jahre verweigert. Ich glaube, nein, ich bin überzeugt,
damit wirst du wieder ein wenig mehr Licht, Freude und Farbe in dein graues Wirtschaftsprüfer-Leben
lassen.“
Ich war schockiert. Mit dieser Reaktion hatte ich nicht
gerechnet. Aber sofort musste ich auch hier wieder die Euphorie bremsen. Ich
wusste doch nicht, ob ich es noch konnte. „Übertreib´ doch nicht gleich so! Es
ist doch nur ein Bild! Es kann ja auch sein, dass es völlig unbrauchbar und
schrecklich wird.“
„Nein, Lissi, das kann nicht sein!“ Sie klang fast ein
bisschen sauer.
„Du hast noch nie unbrauchbare Kunst gemacht. Du hast es
einfach in dir. Also lass es endlich wieder raus. Wirst du dir alle Materialien
kaufen und in deiner Wohnung Platz dafür schaffen oder was hast du vor?“
Das war meine Schwester, sie war die Pragmatikerin. Sie hatte
schon wieder alles in ihrem Kopf geplant. Und hier sah sie wohl auch
Handlungsbedarf.
„Nein, ich habe eine neue Nachbarin, die ist Künstlerin und
ich darf mich bei ihr austoben. Wir machen am Wochenende eine kleine
Mal-Session. Sie hat alles da und ist so nett und lässt mich alles nutzen.“
„Lissi, ich bin sehr gespannt, aber ich bin absolut dafür,
dass du dir auch alles wieder besorgst, was du zum Malen brauchst. Einen
Ausgleich zur Arbeit zum Beispiel.“ Alice blieb vehement bei ihrer Forderung.
Aber zu behaupten, ich hätte keinen Ausgleich zu meiner Arbeit, das war nicht
fair. „Ich hab doch einen Ausgleich, ich mach doch Sport!“ „Ja Schwesterherz,
laufen und ab und zu Tennis mit den Kollegen und noch mehr laufen und Skifahren
im Winter und noch mehr laufen, das können wir als Sport gelten lassen. Aber
Fallschirmspringen und dich in die Tiefe stürzen an einem Gummiseil und andere
verrückte Sachen, die du machst, um dich lebendig zu fühlen, nein, das ist kein
Sport! Nach all den Jahren muss ich mich immer noch wundern, was für eine
Sportverrückte aus dir geworden ist. Das hätte keiner von uns kommen sehen. Du
hast immer nur Dinge getan, die dir Spaß machen, aber... einfach laufen… Da
hast du uns sogar damals Reden gehalten, wie langweilig du das fändest, einfach
zu laufen, nur um schlank zu werden. Zeitverschwendung wäre das. Wenn es einem
gut gehen würde, hätte jeder Mensch automatisch sein Traumgewicht. Das war
damals deine Meinung.“ Es entstand eine kleine Pause. „Naja, Menschen ändern sich.
Zum Glück auch immer wieder in die richtige Richtung!“
Hatte ich so gedacht? Ich konnte mich daran erinnern, dass
ich mit dem Laufen begonnen hatte, weil ich nicht wusste, was ich sonst machen
sollte. Ich hatte sonst meine gesamte Freizeit zwischen dem Malen und Lukas
aufgeteilt und jetzt war beides weggefallen. Im Praktikum sprachen, all diese
hübschen und superschlanken Frauen übers Laufen, also hatte ich auch damit
angefangen. In dieser Zeit war ich sowieso stumpf vor Trauer. Alles war vorher
anders, also klang es nach einem guten Plan, einfach zu laufen. Am Anfang war
ich so darauf konzentriert, nicht zu ersticken, dass ich keine Zeit zum Nachdenken
hatte. Ich fing mit kleinen Runden an und dann wurden es Monat um Monat mehr
Kilometer. Die anderen Sportarten kamen allmählich dazu. Alles was sich
gefährlich anhörte, fand bei mir Interesse und ich
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