Eine von Zweien (German Edition)
dadurch familiärer geworden, sagte sie selbst. Ich hatte ihre Tochter
bis jetzt leider noch nicht live gesehen. Ja, über Skype, aber ich war seit
Annas Geburt noch nicht wieder unten, im Süden, gewesen um die Familie zu
besuchen. Alice machte mir aber kaum Vorwürfe.
Meine Schwester war immer meine Heldin gewesen. Nicht nur war
sie für mich das hübscheste Wesen das ich kannte, sie hatte mich auch in Allem
unterstützt. Als ich wegen Lukas Nürnberg verließ, war sie diejenige, die das
vollgeladene Auto mit mir zusammen nach Berlin brachte. Gut, nicht ohne ihre
Meinung über meine Entscheidungen lauthals kundzutun. Aber genau so war sie.
Sie unterstützte mich in meinen Entscheidungen, gab mir aber klar ihre
Einschätzungen zu verstehen. Ob ich sie hören wollte oder nicht. Aber wenn man
ihr in ihre charakterstarken braunen Augen schaute, die sie von der
mütterlichen Seite der Familie bekommen hatte, dann konnte man ihr nichts übel
nehmen. Sie war eben sehr ehrlich. Vielleicht ist es wahr, dass man hübschen
Menschen einfach weniger übel nimmt. Bei ihr, die sich nicht viel aus ihrem
Aussehen machte und trotzdem fast immer atemberaubend aussah, traf es auf jeden
Fall zu. Weil sie so locker mit ihrer Schönheit umging, war sie für mich auch
noch der netteste Mensch der Welt dazu. Also natürlich nicht nur deshalb, sie
war einfach der netteste, schönste, kreativste und durchsetzungsstärkste Mensch,
den ich kannte. Alles, was sie immer wieder zu meinem Umzug sagte, war, dass
sie fände, es wäre ja mein Leben. Sie betonte auch immer, sie würde auch für
mich da sein, sollte ich irgendwann merken, dass ich in die falsche Richtung
gelaufen sei. Sie war damals aber die Einzige, die mir überhaupt etwas sagen
durfte. Die Einzige, der ich zuhörte und die ich aussprechen ließ. Das war
lange her. Sehr lange her! In der Zwischenzeit hatte sich unser Verhältnis geändert.
Sie war immer so stark. Sie hatte viele Kämpfe mit meinem Vater ausgetragen.
Sie hat immer ihr Ding durchgezogen. Ich hatte immer das Gefühl, sie würde auf
mich hinunterblicken, weil ich den gleichen Weg wie Dad ging. Ich hatte immer
das Gefühl, sie sei besser als ich. Sie hat nie versucht, mich das alles fühlen
zu lassen. Ich habe es trotzdem bemerkt. Als sie sich gegen ein Studium und für
eine Ausbildung in einer Werbeagentur entschied, ist unser Dad durch die Decke
gegangen. Als sie sich dann aber einen brillanten Ruf in der Werbebranche
erarbeitet hatte und sehr gutes Geld machte, war unser Dad ein wenig versöhnt.
Auch wenn er immer wieder klar machte, dass er nichts von diesem Werbegesindel
halte. Sie würden viel reden und versprechen und den Leuten am Ende nur das
Geld aus der Tasche ziehen. Der Höhepunkt war erreicht, als Alice dann auch
noch ihren Kollegen heiratete und mit ihm eine eigene Agentur aufmachte, da war
unser Vater ihr größter Kritiker. Aber auch das legte sich. Jetzt war ihre
Agentur natürlich erfolgreich und sie ist Mutter. Für unseren Vater hat sich
also alles am Ende normalisiert, auch wenn er mit dem Werbemenschen noch immer
nichts anfangen kann. Meine Schwester und ihren Mann lässt er da außen vor.
Alice schien perfekt. So perfekt, dass man als kleine
Schwester einfach nicht hinterherkommen konnte. Sie rief an, um einfach so mit
mir zu reden. Sie erzählte mir, wie es unserer Mutter ging. Was Mum so den
ganzen Tag machte, dass sie gerne auch auf Anna aufpasste und sich sehr freuen
würde, wenn sie mehr über mich erfahren würde. Ohne Vorwürfe zu machen, sagte
sie mir, dass Mum mich sehr vermisste. Ohne ein Wort von mir abzuwarten,
erzählte sie mir, was Anna wieder Verrücktes gemacht hatte, beschrieb wie ihre
neueste Grimasse aussah. Sie sagte, Anna würde sie mehr und mehr an mich
erinnern. Ich hätte doch auch immer so verrückte Gesichtsausdrücke gemacht. Das
war wohl mein Hobby, bis ich vier wurde. Anna könne noch kein Wort reden, aber
ihr Grimassen-Repertoire hatte sie komplett unter Kontrolle. Ich nahm Alice das
Versprechen ab mir ein paar Fotos zu schicken, damit ich wieder auf den neusten
Stand kam. Das Gespräch war so gut gelaufen, dass ich überlegte, ob ich Alice
von meiner Begegnung mit Beth erzählen sollte. Das würde uns sicher wieder ein
Stück zusammenbringen. Vielleicht auch nur weil sie denken würde, ich müsste
eingewiesen werden.
„Alice, du wirst es nicht glauben“ ich entschied mich, mit
einem leichteren Thema zu beginnen. „Wir sind bei der Arbeit irgendwie aufs
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