Eine Witwe ohne Tränen
Lokal
irgendeine Masche, und da es sich keine Kellnerinnen mit oben ohne leisten
kann, nimmt es statt dessen unhöfliche Kellner.«
»Ich
wundere mich oft über die Kellnerinnen mit oben ohne«, sagte sie träge. »Das
Risiko, das die auf sich nehmen.« Sie schauderte bei dem Gedanken. »Können Sie
sich vorstellen, wie jemand einen Teller heiße Tomatensuppe verschüttet?«
»Meine
Phantasie überschlägt sich«, bestätigte ich.
»Ich
kann mir vorstellen, wie sich eine hinterhältige und lüsterne Phantasie dabei
überschlägt.«
Ich
hatte keine Gelegenheit, zu antworten, denn der Kellner kehrte zurück, knallte
die Chiantiflasche auf den Tisch, legte einen Korkenzieher daneben und grinste
mich von der Seite her an. »Ich habe eine Mordsarbeit gehabt, den Korken in die
Flasche zurückzustopfen, jetzt können Sie ihn wieder herausholen.« Nach einigem
Überlegen stellte er noch zwei Gläser auf den Tisch. »Wenn er Ihnen nicht
schmeckt, fallen Sie mir damit nicht auf den Wecker, er steht ohnehin schon auf
Ihrer Rechnung.«
Karen
aß stetig weiter, während ich den Korken herauszog und den Wein eingoß. Als wir
fertiggegessen hatten und die Chiantiflasche so gut wie leer war, blickte sie
mich eine ganze Weile ebenso stetig an, und ihre blauen Augen waren milde
geworden. »Warum bombardieren Sie mich nicht mit weiteren Fragen, damit ich
erneut anfangen kann, Sie unsympathisch zu finden.«
»Sehen
Sie?« Ich schüttelte betrübt den Kopf. »Das ist der ganze Ärger mit Ihnen. Sie
wollen sich einfach nicht verführen lassen. Nicht wahr?«
»Hier
drinnen?« Sie verzog angewidert den Mund. »Mit diesem Kellner, der die ganze
Zeit über die Nase rümpft?«
»Also
bleibt mir nichts anderes übrig, als Fragen zu stellen«, gab ich zu. »Ich
wollte, ich wüßte, ob Ihre unsterbliche Liebe zu Manny mütterlich oder die
schiere Leidenschaft ist.«
Sie
kicherte plötzlich, und einen Augenblick lang vermutete ich, es handelte sich
um die durch die Martini verstärkte Streitmacht des Chianti. »Können Sie sich
Manny leidenschaftlich vorstellen?« gurgelte sie.
»Eigentlich
nicht«, gestand ich. »Seine Brillengläser würden sich beschlagen, und er würde
das Büro umarmen.« Ich fuhr im selben leichtfertigen Ton fort: »Wußte Carlyle,
daß er Krebs hatte?«
Sie
hörte schlagartig mit Kichern auf. »Ich — ich weiß nicht.«
»Wußte
es überhaupt jemand mit Sicherheit?«
»Ich
glaube nicht. Aber die Tatsache, daß es möglich war, war das größte Geheimnis
überhaupt. Wie haben Sie das herausgefunden?«
»Das
ist nicht wichtig. Wer war sein Arzt?«
»Doktor
Knowles. Aber was hat das mit Gail zu tun?«
»Wahrscheinlich
nichts.« Ich zuckte leicht die Schultern. »Nur einfach morbide Neugier, also
Schwamm drüber. Im übrigen glaube ich, daß Sie damit, daß Lester Fosse nicht Gails Liebhaber war, recht haben.«
»Haben
Sie mit ihm gesprochen?« Ihre blauen Augen waren wieder wachsam, und der
Alkohol, den sie zu sich genommen hatte, verursachte ihr keinerlei Beschwerden.
» Heute vormittag «, sagte ich und nickte. »Er scheint ein
netter Bursche zu sein.«
»Ich
traf ihn nur ein paarmal bei Lloyd draußen, als ich mit Manny dort war. Ich
fand ihn auch nett. Jedesmal, wenn ich dort war, steckte er mit Gail zusammen,
aber er benahm sich mehr wie ein großer Bruder. Wissen Sie?« Sie öffnete ihre
Handtasche, musterte ihre Lippen im Spiegel und sah mich dann wieder an. »Sie
haben mich nicht nur zu Martini, Wein und Lunch eingeladen, um lediglich ein
bißchen mit mir zu plaudern, Holman, oder?«
»Nein, Brine .«
»Wie
wär’s, wenn Sie dann jetzt mit der großen Frage herausrückten. Ich muß nach wie
vor im Studio meine Brötchen verdienen, und inzwischen ist es beinahe drei
Uhr.«
»Manny
verschweigt mir eine Menge«, sagte ich. »Stimmt’s?«
Sie
stellte sehr vorsichtig die Handtasche auf den Tisch. »Ich weiß nicht, was Sie
damit meinen.«
»Er
hat eine Todesangst vor Joe Rather. Okay, das ist nicht verwunderlich, aber er
hat auch eine Todesangst vor mir. Ich möchte wissen, warum.«
»Das
bilden Sie sich alles bloß ein«, sagte sie scharf. »Ich habe Ihnen ja schon
vorher erzählt, daß Manny bloß eins fürchtet — daß
Sie alles verpfuschen und daß es dann Joe Rather an
ihm ausläßt .«
» Brine — «, ich schüttelte bedächtig den Kopf, »Sie mit
Ihren sanften blauen Augen! Wissen Sie, was der Ärger mit wirklich
erstklassigen Lügnern ist? Niemand weiß, wann sie je die Wahrheit
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