Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
wahrscheinlich sogar eine Schießerei wären die Folgen gewesen. Aus einem Fest der Freude – wie es mir hier vorkam – wäre schnell ein weiteres Denkmal der Unterdrückung geworden.
Edvards Freunde begrüßten mich, sie umarmten und küßten mich, freudiger als bei den anderen Begegnungen davor. Wir waren eine Gruppe, ein Team, wir gehörten zusammen, zogen an einem Strang. Auch die anderen Menschen, die sich hier versammelt hatten, ganz gleich, ob Mann oder Frau, jung oder alt, sie alle trugen ein Lächeln auf den Lippen, grüßten mich, sprachen mit mir – sehr ungewöhnlich für Deutsche und noch ungewöhnlicher für Schwule, die sich in der Szene ansonsten cool gaben.
„Wow, sind hier viele Menschen“, sagte ich zu Lipstick. „Ich wußte gar nicht, daß es so viele Schwule gibt.“
„Ach, das ist noch gar nichts, Schätzchen“, antwortete er. „Nächstes Jahr nehmen wir dich mit nach Berlin oder nach Köln; da siehst du erst, wie viele wir wirklich sind. In München traut sich doch kaum einer raus.“
Der Nieselregen machte mir nichts aus. Im Gegenteil: Er lieferte uns einen weiteren Grund, näher zusammenzurücken und mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Nicht mal der graue Himmel störte, nicht bei all der Farbenpracht, die mir geboten wurde.
Zusammen mit Ed, Kim, Hannah, Nani und all unseren Freunden verfolgte ich die Parade. Verschiedene Bars und Discotheken hatten Wagen, auch Vereine waren vertreten. Jeder Wagen war dekoriert, und von jedem knallte andere Musik; ich war erstaunt über die Vielzahl und freute mich. B sagte später, daß er genau das problematisch fand: Anstatt Gemeinschaft zu zeigen, kochte jeder in der Szene sein eigenes Süppchen. Ich konnte das nicht beurteilen, aber mir war schon aufgefallen, daß sich Lesben und Schwule nicht gerne mischten; die Vereine schienen streng auf Geschlechtertrennung zu achten, außer – und das fand ich besonders traurig – bei der Aids-Hilfe. Warum mußten Homosexuelle erst krank werden, bevor sie lernten, zusammenzuhalten?
Der letzte Wagen war kaum an uns vorübergezogen, da verabschiedeten sich Ed und Nani. Kim, die in der Nacht zuvor „anstrengenden“ Besuch gehabt hatte – sie betonte das, und ihre Augen leuchteten dabei –, wollte mit Hannah ein Mittagsschläfchen halten; Lipstick, Barbarella und die anderen folgten dem Umzug zum Marienplatz, um dort zu feiern.
„Wenn du Lust hast, melde dich!“ sagte Edvard, bevor er Nani zu einem Taxi hinüberschob. Seinem Schmunzeln war zu entnehmen, daß er ahnte, was ich vorhatte. „Vielleicht treffen wir uns heut abend auf ein Bier oder so was.“
„Okay, Bruder“, antwortete ich. „Ich ruf an“, aber ich dachte nicht im Traum daran. Zwar war die CSD-Parade vorüber, aber in mir ging die Demonstration für mehr Selbstverständlichkeit im Umgang mit Schwulsein weiter. Ich war mit Mäxx verabredet, diese Stunden wollte ich mit niemandem sonst teilen.
Mäxx erschien mir sehr deutsch, fast noch deutscher als B. Alles, was er tat – alles, was „man“ tat –, mußte nach bestimmten Ritualen vollzogen werden. Das begann mit dem Fußabstreifen an der Haustür, über welches Handtuch ich benutzen sollte, und reichte bis zu dem, worüber wir sprachen. Seine Art konnte Menschen verscheuchen, ja, ich glaube, daß er es sogar darauf angelegt hatte: Je näher ich ihm kam, desto mehr merkte ich, daß das alles nur ein Test war, um herauszufinden, ob er dem anderen trauen konnte – fast alle fielen durch.
Mäxx war ein verrückter Vogel, und mehr noch: Er war ausgesprochen schwierig. Man konnte ihn nicht einfach mal so umarmen oder an der Hand nehmen, wie ich es mit Ed und B öfter tat. Gerade wenn es um Gefühle ging, war Mäxx ein einziges Minenfeld; jeder Tritt konnte unvorhersehbare Konsequenzen nach sich ziehen.
Nehmen wir nur mal den Kuß, den ich ihm ein paar Wochen zuvor gegeben hatte. Davor hatte er die körperliche Nähe zu mir gesucht: z.B. seine Hände auf meinem Po in der Disco, eine Umarmung zum Abschied. An diesem Nachmittag nach der Parade schüttelte er mir zur Begrüßung nicht mal die Hand, ja, er tat sich schwer, mir in die Augen zu schauen. Er wirkte so distanziert, daß ich mich fragte, ob ich damals zu weit gegangen war? Aber warum hatte er sich dann so gefreut, als ich ihn am Abend nach meiner Rückkehr aus London angerufen hatte? Warum hatte er sich auf ein Treffen eingelassen? Und warum fand er im Laufe des Nachmittags immer wieder einen Grund, damit ich noch ein
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