Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
dass es ernst zwischen ihnen wurde und sie sich gut verstanden.
»Und was willst du nun tun?«, fragte Anna, denn sie sah sich außerstande, Beziehungstipps zu geben.
»Ich habe mir Bedenkzeit bis nach Weihnachten ausgebeten. Das bedeutet zwar, dass Karsten auch dieses Jahr keinen Weihnachtsbaum bekommt, aber so eine wichtige Entscheidung will ich nicht übers Knie brechen.«
»Keinen Weihnachtsbaum?«, wunderte sich Anna.
»Seit er ins heiratsfähige Alter gekommen ist, gibt es bei Karsten zu Hause nur dann einen Weihnachtsbaum, wenn er eine Verlobte vorweisen kann. Komischer Brauch, nicht wahr?«
»Sehr komisch.« Anna schüttelte verwirrt den Kopf.
»Tja, das bedeutet, dass er, seit er achtzehn ist, keinen Weihnachtsbaum mehr bekommen hat. Frag mich nicht warum, manche Familien sind halt seltsam.«
»Meinst du wirklich, dass die Eltern keinen Baum aufstellen, nur weil er ihnen noch keine Ehekandidatin angeschleppt hat?«
»Keine Ahnung, bisher habe ich seine Eltern noch nicht kennengelernt. Ich hatte ja gedacht, dass wir beide eine lockere Beziehung führen wollen, aber nun kam der Ring.«
»Und wie hat er reagiert, als du nicht gleich ja gesagt hast?«
»Er hat verstanden, dass ich Bedenkzeit brauche. Aber wenn ich an den Brauch mit dem Baum denke …« Paula betrachtete erneut die Schachtel. »Meine Eltern würden sich sehr freuen, wenn ich heiraten würde. Ganz zu schweigen von meinem Großvater. Aber nur, damit Karsten einen Weihnachtsbaum bekommt, kann ich doch nicht ja sagen, oder?«
»Auf gar keinen Fall!«
»Also werde ich dieses Schächtelchen mitnehmen und während der Weihnachtsfeiertage darüber nachdenken. Karsten bekommt seine Antwort pünktlich zu Neujahr.«
»Dann werden das für ihn wohl doppelt schreckliche Weihnachten.«
Paula blickte versonnen auf den Ring, der einladend funkelte. Von ihrem Gesicht war nicht abzulesen, was sie dachte. »Vielleicht. Vielleicht wird es aber für ihn auch das beste neue Jahr, das er je hatte.«
»Oder das schlechteste. Je nachdem, wie du dich entscheidest.«
»Stimmt. Das werden wir sehen.« Sie klappte die Schachtel wieder zu. »Wann geht dein Zug? Ich habe Apfelkuchen gebacken, vielleicht bringt er uns ein paar Klarheiten. Außerdem brauchst du ein bisschen Wegzehrung.«
6. KAPITEL
D urchgewärmt und mit dem Geschmack von Apfelkuchen mit Zimt auf der Zunge machte sich Anna zwei Stunden später auf den Weg zum Bahnhof. Karstens Heiratsantrag und Paulas Zögern darauf hatten sie nachdenklich gemacht. Ob die beiden ein gutes Fest haben würden? Paula ganz sicher, doch der arme Karsten?
Warum sollte es ihm besser gehen als mir, dachte Anna ein wenig mürrisch. Aber vielleicht hatte ihre Freundin recht, und es wurde nicht so schlimm. Und wenn doch, es waren ja nur drei Tage.
Auf dem Bahnhof angekommen begab sie sich sogleich auf ihr Gleis, denn der Zug sollte in zehn Minuten fahren. Eigentlich.
Kaum hatte sie ihren Koffer abgestellt, hallte eine Durchsage über ihren Kopf hinweg: »Bitte beachten Sie! IC 2355 nach Ostseebad Binz, über Berlin Hauptbahnhof, hat wegen einer witterungsbedingten Störung derzeit eine Verspätung von zirka 50 Minuten.«
Stöhnend blickte Anna auf die Bahnhofsuhr. Fünfzig Minuten! Wie sollte sie das bloß aushalten?
Murrend griff sie nach ihrer Tasche und stapfte wie viele andere Zugpassagiere wieder zurück ins Bahnhofsgebäude, in dem es nur ein wenig wärmer war.
Da ihre Finger froren, entschied sie sich, einen Kaffee an einem der Imbissstände zu kaufen. Natürlich würde sie dort auch nicht von der Weihnachtsstimmung verschont bleiben. Schon beim Vorbeigehen hatte sie gesehen, dass die Verkäufer alle rote Weihnachtsmützen oder blinkende Tannenbaumanstecker trugen. Aber die Wärme des Kaffees rechtfertigte dieses Opfer.
Mit einem braun bedruckten Kaffeebecher, aus dem ihr ein Cappuccino entgegendampfte, ließ sie sich schließlich auf einer der Sitzbänke nieder. Eine Durchsage schwebte über ihren Kopf hinweg, wieder eine Verspätung. Allerdings brauchten die Passagiere jenes Zuges nur zwanzig Minuten zu warten. Seit Anna den Bahnsteig verlassen hatte, waren gerade mal zehn Minuten vergangen.
Auf ihr Handy zu schauen lohnte sich fast nicht, Paula war sicher auch schon unterwegs, und sonst gab es niemanden, der ihr die Zeit vertreiben konnte.
Eigentlich traurig, dachte Anna. Die anderen haben alle jemanden, dem sie schreiben können. Freunde, Liebhaber, Ehemänner … Ein wenig neidisch blickte sie auf
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