Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
war mit meinem dritten Kind hochschwanger.«
»O nein, nicht das schon wieder!« Butterblume rollte genervt die Augen.
»Aber das Mädchen hier hat die Geschichte noch nicht gehört, also zeig doch ein bisschen Nachsicht«, meinte Rose begütigend und legte ihrer Sitznachbarin die Hand auf den Arm.
»Alle glaubten, dass das Kind über Weihnachten zur Welt kommen würde, auch ich. Den ganzen Abend über schielten alle nur zu der gepackten Reisetasche, die seit Tagen für mich bereitstand. Meine beiden ersten Kinder waren damals fünf und sieben Jahre alt, und ich wusste, dass sie alles andere als angetan waren, noch ein Geschwisterchen zu bekommen. Aber ich freute mich darauf, und warum denn nicht ein Christkind? Ich überließ es der Natur und sah dem Weihnachtsfest gelassen entgegen, begab mich wie immer in die Küche und tat einfach so, als sei es ein ganz normaler Tag. Zwischendurch horchte ich in mich hinein, fragte das Kind, ob es kommen wollte, doch es schien zu schlafen, also machte ich Klöße und schob das Huhn, das ich von einem Bauern geschenkt bekommen hatte, in den Ofen. Wir setzten uns zusammen, aßen, und bis zur Bescherung war alles in Ordnung. Die Kinder packten ihre Geschenke aus, dann, wie es in den meisten Familien so ist, wurde dem Ende des Abends entgegengedöst. Noch mal davongekommen, dachte ich, als ich mich ebenso wie mein Mann dem Schlaf überlassen wollte. Aber da meldete sich plötzlich das Kind, kurz bevor ich richtig einschlafen konnte. Zunächst glaubte ich, dass ich mir den Magen am Essen verdorben hätte, aber mein Herz wusste es viel besser als mein Verstand.
Da mein Mann beim Kinderkriegen immer aufgeregter war als ich selbst, hatte er für den Notfall vorgesorgt und einen Mann aus unserem Ort gefragt, ob der uns ins zwanzig Kilometer entfernte Krankenhaus fahren würde, wenn es losginge. Als ich ihn weckte, war er sofort von der Rolle. Er rannte nach draußen, ohne sich feste Schuhe oder einen Mantel überzuziehen. So viel Zeit wäre immerhin noch gewesen, aber die wollte er sich nicht nehmen. Eine Viertelstunde später war er wieder da, den Mann samt Wagen hatte er gleich mitgebracht. Nun muss man bedenken, dass es kein moderner Wagen war wie die heutzutage. Das Fahrzeug war ein Lieferwagen, den der Nachbar kurz nach dem Krieg gekauft hatte. Er hatte ihn hundertmal geflickt, und bisher hatte er noch nie Schwierigkeiten mit ihm gehabt. Ich war zwar nicht besonders begeistert, aber damals waren andere Zeiten, und man vertraute auf den Nachbarn, der meinte, sein Lieferwagen würde es sogar bis nach Sibirien schaffen. Ich schaute noch einmal nach meinen Kindern, die selig schliefen, ließ einen Zettel auf dem Küchentisch und nahm meine Tasche. Die Fahrt war etwas holprig, doch ich achtete nicht darauf. Ich konzentrierte mich auf meine Wehen, die in immer kürzeren Abständen kamen, und ich wunderte mich darüber, dass es das Kind so eilig hatte. Mein Mann merkte das und trieb den Fahrer an. Nebenbei erzählte er ihm irgendwelchen Kram, Fußball, Garten, Haus, was er alles renovieren möchte, was er mit den Kindern im Sommer vorhatte. Er redete wie ein Wasserfall!
Doch mittendrin begann das Auto zu stottern, ein lauter Knall ertönte, und es blieb stehen. Der Mann aus dem Ort fluchte, ich stöhnte, mein Mann war leichenblass. Während des Krieges hatte er als kleiner Junge mal mit ansehen müssen, wie eine Frau ein Kind zur Welt brachte. Er liebte Kinder, aber sie selbst auf die Welt holen? Da wäre er doch lieber zehn Runden bei schwerem Gewitter in einem See geschwommen! Zusammen mit dem Fahrer versuchte er, das Auto wieder in Gang zu bringen. Ich lag auf dem Rücksitz und kämpfte mit den Wehen. Darüber bekam ich zunächst gar nicht mit, wie schlimm es um den Wagen stand. Als mein Mann mit langem Gesicht wieder einstieg und mich gerade keine Wehe marterte, wurde mir klar, dass es keinen weiter entfernten Ort in dieser Nacht gab als das Krankenhaus.«
Anna fragte sich, wie diese Nacht die schönste ihres Lebens sein sollte. Eigentlich war es der Fliederdame ähnlich gegangen wie ihr selbst – nur dass sie nicht schwanger war und kurz vor der Entbindung stand. Während Anna dem Schicksal zutiefst dafür dankte, dass ihr zumindest das erspart blieb, setzte die Fliederdame ihre Erzählung fort.
»Mein Mann war ganz verzweifelt. Ich in diesem Augenblick auch, aber die hin und wieder einsetzenden Wehen relativierten meine Sorge. Während ich mit angespannten Muskeln darauf
Weitere Kostenlose Bücher