Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
Kaffee besorgen«, durchbrach Flieder glücklicherweise das Schweigen und erhob sich. Die anderen beiden nickten, Anna sprang ebenfalls auf und griff nach ihrer Geldbörse. Sie konnte doch diese netten Rentnerinnen nicht ausplündern …
»Vielleicht sollte ich jetzt eine Runde ausgeben«, sagte sie, doch die Fliederdame schüttelte den Kopf.
»Nein, Kindchen, lassen Sie nur, Sie sind eine arme gestrandete Studentin, und Sie halten es mit uns alten Frauen aus. Da können wir Ihnen doch ruhig den einen oder anderen Kaffee ausgeben.«
Bevor sie hinzusetzen konnte, dass sie diesmal keinen Alkohol im Kaffee haben wollte, war Flieder schon verschwunden.
14. KAPITEL
W enig später dampfte der zweite Irish Coffee vor ihrer Nase. Den Alkoholgehalt konnte man deutlich mit der Nase bestimmen, aber mittlerweile hatte der erste Kaffee seine Wirkung getan.
Von wohliger Wärme umgeben vergaß Anna, nach einer Mitfahrgelegenheit Ausschau zu halten. Auf ihrer Kunstledersitzbank und in der Anwesenheit der drei alten Frauen fühlte sie sich mittlerweile ziemlich wohl. Vergessen war ihr schmutziges Haar, und mittlerweile waren auch ihre Kleider getrocknet. Die braunen Schlieren auf ihrer Jacke sahen aus, als bräuchte man sie einfach nur wegzuwischen.
Lächelnd schlossen sich ihre Hände um das Kaffeeglas mit der Sahnehaube. Die Wärme fühlte sich einfach toll an, und als sie an ihrem Strohhalm nippte, störte sie auf einmal auch der Alkohol nicht mehr.
Den drei Frauen schien es ähnlich zu ergehen. Selbst Butterblume wirkte wesentlich milder. Rose hatte passend zu ihrem Outfit eine rosafarbene Nasenspitze und Flieder bekam einen ganz verklärten Blick, so als würde sie gerade eine wunderschöne Erinnerung heimsuchen.
»Wo wären Sie denn jetzt, wenn Sie den Bus erwischt hätten?«, hörte sich Anna fragen.
»Wahrscheinlich im Bett«, gab Butterblume trocken zurück. »Um morgen früh dann wieder aus dem Schlaf gerissen zu werden, weil man angeblich diese oder jene Pille unbedingt um halb sieben schlucken muss. Wäre ich noch zu Hause, würde ich bis neun in den Federn liegen, mir zum Frühstück eine anzünden und dann den Fernseher einschalten.«
»Den Fernseher kriegst du auch bei uns!«, entgegnete die Rosendame mit einem schelmischen Lächeln. Offenbar kannte sie die Antwort schon.
»Ja, inklusive lauter alter Mumien, die aussehen, als seien sie aus einem ägyptischen Museum geholt und bei uns aufbewahrt worden.«
»Du vergisst, dass du selbst so eine alte Mumie bist!«
»Ich? Niemals!«, protestierte sie.
»Doch, du bist genauso eine Mumie wie jeder andere im Heim. Nur eine sehr rüstige Mumie, das muss man dir lassen.«
Die Frauen sahen sich an und brachen dann in Gelächter aus.
»Ist es nicht seltsam, dass man sich eigentlich gar nicht alt fühlt, obwohl man es ist?«, wandte sich Flieder an Anna, die nicht so recht wusste, was sagen. »Na gut, ich glaube, ich frage die Falsche, aber können Sie sich vorstellen, dass Sie ein völlig anderer Mensch werden, wenn Sie altern?«
Anna überlegte. Das fiel ihr nach der kräftigen Alkoholportion im zweiten Irish Coffee ein bisschen schwer, aber schließlich kam sie zu einem Resultat. »Ich glaube nicht, dass ich eine völlig andere werden würde. Jedenfalls nicht, wenn es sich verhindern lässt.«
»Richtig so!«, warf Butterblume ein. »Lassen Sie sich ja nicht einreden, dass Sie, wenn Sie alt sind, nur noch Stützstrümpfe tragen, Schlager hören oder langweilige Fernsehserien gucken müssen. Sie können auch, wenn Sie achtzig sind, immer noch schrille Klamotten tragen, Stones hören und Actionfilme anschauen.«
»Die Rolling Stones?«, erkundigte sich Anna überrascht.
»Ich glaube kaum, dass unser Mädchen hier auf die Stones steht, und auch mit den Beatles musst du ihr nicht kommen«, meldete sich Flieder jetzt wieder zu Wort.
»Ach, wer hört denn schon die!«, winkte Butterblume ab.
»Da ich schätze, dass Ihre Frage nach unserem Aufenthaltsort ohne diese Panne darauf abzielte, was wir zu Weihnachten machen, fange ich doch mal an«, lenkte Flieder geschickt vom Thema ab, bevor sie noch anfingen, über Musikgeschmack zu streiten.
»Ich erinnere mich noch gut an das schönste Weihnachtsfest meines Lebens.« Während ihre Hände unbewusst etwas aus ihrer Serviette falteten, das wie ein Vogel aussah, wanderte ihr Blick in die Ferne, bis sie schließlich die Tür in ihrer Erinnerung wiederfand, die zu dem gewünschten Bild führte. »Es war 1957 , und ich
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