Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
wartete, dass der Schmerz nachlassen würde, fragte ich mich, ob es möglich wäre, das Kind im Auto zu bekommen. Der Fahrer würde sich gewiss bedanken, aber was sollte ich tun? Draußen war tiefster Winter!
›Ganz in der Nähe gibt es einen Bauernhof‹, sagte unser Fahrer, der meine Absicht irgendwie gespürt haben musste. ›Da hätten Sie wenigstens ein Dach über dem Kopf.‹ Er blickte auf meine Hände, die sich um meinen Bauch krallten, dann setzte er hinzu: ›Und wenn das Kleine kommt, erfriert es wenigstens nicht hier draußen.‹
Das war ein durchaus vernünftiges Argument, nur ich konnte kaum sitzen. Wie sollte ich dann laufen? Ich wusste nur zu gut, dass manche Schwangere durch Laufen versuchten, das Kind zum Kommen zu bewegen. Doch mein Kind wollte ja schon!
Aber es blieb uns nichts anderes übrig. Nachdem ich einigermaßen sicher auf den Füßen stand, gingen wir in die Richtung, die unser Fahrer uns beschrieben hatte. Und das keineswegs auf einer schön geräumten Straße. Wir stapften über Schneewehen und durch Gräben, weil mein Mann der Ansicht war, es sei weniger gefährlich. Schon komisch, wenn man mal bedenkt, dass es auf der Straße damals weniger Autos als Igel gab. Aber mein Mann war bei meinen Schwangerschaften fast schon übervorsichtig und wollte auf keinen Fall riskieren, dass wir sozusagen auf der ›Zielgeraden‹ meiner Schwangerschaft auf der Straße umkamen.
Wie Maria und Josef irrten wir zu dem Gehöft. Immer wieder kehrten die Wehen zurück, und ich fürchtete fast schon, dass ich mein Kind im Schnee bekommen müsste. Doch irgendwie schafften wir es zu dem Hof, wo wir an die Tür klopften.«
»Fehlt nur noch der Stern von Bethlehem«, murrte Butterblume respektlos.
»Den gab es in dieser Nacht nicht, denn am Himmel standen dicke Schneewolken. Aus denen es auch noch zu rieseln begann. Aber wenn wir schon beim Vergleich mit der biblischen Geschichte sind, auf den ersten Blick waren wir genauso unwillkommen wie die beiden, denn kaum hatten wir das Tor durchquert, ertönte auch schon ein furchtbares Bellen. Ein Hund, dessen Größe wir in der Dunkelheit nicht erkannten, aber der sich ziemlich bedrohlich anhörte, warf sich mit voller Wucht in seine Kette. Fast wollte ich schon kehrtmachen und zum Auto zurücklaufen, denn vor Hunden hatte und habe ich panische Angst. Doch mein Mann hielt mich am Ärmel fest und versprach mir, dass der Hund mir nichts tun würde.
›Eher stecke ich ihm meinen Arm ins Maul, als dass er dich beißt!‹
Das war natürlich ziemlich großspurig von ihm, doch in dem Augenblick fühlte ich mich irgendwie geborgen. Vielleicht lag das auch an den Schmerzen, wer weiß. Mein Mann führte mich zur Tür, und tatsächlich, die Kette des Hundes hielt, wir wurden nicht gebissen.
Der Mann, der uns öffnete, war uralt, jedenfalls kam es mir damals so vor. Er sah uns finster an, während im Hintergrund immer noch der Hund an der Kette zerrte. Ich wusste in dem Augenblick nicht, wovor ich mehr Angst haben sollte, vor dem Alten oder dem Hund. Doch das wurde unwichtig, als eine neue Wehe einsetzte. Mein Mann versuchte noch zu erklären, was wir zu so später Stunde vor dem Gehöft wollten, aber mein Schrei und mein Krümmen sagten wohl alles. Wortlos gab der Alte die Tür frei, und mein Mann bugsierte mich hinein.«
Die Erwähnung des alten Mannes und der Hütte ließ Annas Erinnerung an den Traum zurückkehren, der eigentlich dafür verantwortlich war, dass sie hier saß.
»Auf jeden Fall stellte sich heraus, dass der Alte Schäfer war und sich mit dem Entbinden auskannte – jedenfalls mit dem von Schafen. Das hätte mich in Panik versetzen können, aber mein Körper fühlte sich an, als hätte ich mindestens tausend Chinaböller im Bauch, die alle zur gleichen Zeit explodierten. Glauben Sie mir, Kindchen, da werden viele Details unwichtig. Man bugsierte mich in das Gästezimmer des Alten – ja, so was hatte er –, wo ich mich auf dem frisch bezogenen Bett langmachen konnte. Da es nicht meine erste Geburt war, wusste ich ungefähr, was zu machen war – und letztlich würde sich die Natur eh nicht aufhalten lassen. Wenig später setzte der Alte Wasser auf, brachte Tücher und ein Laken. Mein Mann war immer noch ganz blass, doch auch da wusste der Schäfer Rat. Er gab ihm ein großes Glas Selbstgebrannten, in dem Wissen, dass nicht nur der folgende Hustenanfall, sondern auch der Alkoholgehalt ihn davon abhalten würde, ohnmächtig zu werden. Dann tätschelte
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