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Einem Tag in Paris

Einem Tag in Paris

Titel: Einem Tag in Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Sussman
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mehr. Und jetzt ist sie schließlich hier, verbringt einen Tag mit jemandem und hat so wenig über ihn erfahren. Er liebt eine andere französische Privatlehrerin. Er hat sich als Kind im Rübenkeller versteckt. Er hat ein Kind in Marokko. Wer ist er? Hat er sich wirklich in sie verknallt, oder ist das nur seine charmante Art, einem dummen amerikanischen Mädchen Französisch beizubringen? Und warum zum Teufel folgt sie ihm auf die Spitze des Turms?
    Sie versucht das Geräusch ihres eigenen abgehackten Atems zu dämpfen. Es ist zu lange her, seit sie in den Hügeln wandern war oder mit dem Fahrrad übers Land gefahren ist. Seit Simon. Seit Simon hat sie die Fähigkeit zu atmen verlernt.
    »Was werden wir in Paris machen, nachdem wir dir neue Schuhe gekauft haben?«, hatte Simon gefragt.
    Sie war der Profi gewesen, die, die Französisch konnte. Er war geschäftlich ein-, zweimal in Paris gewesen, aber er wusste nichts über die Stadt. War er am Eiffelturm gewesen? Vermutlich nicht. Und jetzt würde sie es nie erfahren.
    »Wir werden dasselbe machen wie hier«, hatte sie zu ihm gesagt.
    »Stimmt nicht«, hatte Simon lächelnd erwidert. »Wir werden unsere erbärmlichen Hinterteile aus dem Bett schwingen und uns die Stadt ansehen. Ich will durch jede Straße dieser Stadt gehen, mit dir an meinem Arm.«
    Es sollte ihre erste gemeinsame Reise sein, ihre erste Chance, sechs Tage am Stück zusammen einzuschlafen und zusammen aufzuwachen.
    »Eine Plattform noch«, ruft Nico wie ein privater Fitnesstrainer, der sie auffordert, noch dreiundsiebzig Liegestütze zu machen. Jetzt nimmt der Himmel mehr Raum ein, der Fluss schlängelt sich länger und schmaler dahin, und die Häuser werden zu Dächern, die ineinander verschwimmen.
    Josie sieht, dass sich der Himmel verdunkelt, und eine kalte Brise zieht durch. Sie kann den Wind im Nacken spüren, und sie denkt an ihre neue Frisur. Sie hebt eine Hand und fährt sich damit durchs Haar. Er wird es niemals sehen, denkt sie.
    »Es klappt nicht«, ruft sie Nico zu.
    »Was klappt nicht?«
    »Ist das nicht dein Heilmittel? Sollte ich mich jetzt nicht schon besser fühlen?«
    »Steig weiter hoch«, ruft er zurück.
    Josie spürt den Schweiß im Kreuz. Sie rollt ihr Tanktop hoch und wischt sich den Schweiß ab. Dann gleitet ihre Hand zu ihrem Bauch, und sie lässt sie darauf ruhen. Er ist flach, er ist straff, er fühlt sich genauso an wie immer. Aber sie ist schwanger, sie weiß es. Sie hatte die Pille abgesetzt, und Simon hatte begonnen, Kondome zu benutzen. Hatten sie es mal vergessen?
    Der Tag im Ruderboot. Sie dachten nicht an Kondome; sie dachten an die Tiefe des Sees, die eisige Kälte des Wassers, das Schaukeln des Boots. Sie riskierten seine Ehe, ihren Job, seine Beziehung zu seinem Sohn, ihre Beziehung zu ihrem Vater.
    Sie dachten nie an das andere Risiko, das sie eingingen.
    Simon ist nicht mehr da, Brady ist nicht mehr da. Sie hält sich die Hände über den Bauch und steigt weiter die Stufen hoch.
    »Ich war noch nie auf der Spitze des Turms«, ruft Nico zurück.
    »Hast du Angst?«, fragt Josie.
    »Vor Höhen? Nein. Vor der Liebe. Vielleicht.«
    »Geht es hier denn um Liebe?«
    »Jeder Franzose und jede Französin liebt oder hasst diesen Turm. Man kann ihn nicht ignorieren. Er ist da, versperrt uns die Aussicht oder verschönert uns die Aussicht, jeden Tag. Egal, wo man ist. Der Turm ist immer da.«
    »Liebst du oder hasst du ihn?«
    »Das werde ich heute entscheiden«, sagt Nico.
    Josie fühlt sich beschwingter auf den Beinen. Irgendwie kann sie wieder Atem schöpfen, und die Stufen scheinen leichter zu erklimmen zu sein. Es gibt mehr Luft, eine leichtere Brise zieht durch. Sie liebt das Gefühl von Luft in ihrem Nacken.
    »Ich werde heute auch entscheiden«, ruft sie zu Nico hoch.
    »Über den Turm?«
    »Über die Provence«, sagt sie. »Ob ich völlig den Verstand verlieren und mit meinem Privatlehrer durchbrennen werde.«
    »Hier ist ein guter Ort, um den Verstand zu verlieren«, sagt Nico zu ihr.
    Sie trafen sich in einem Motel am Rand des Highway 101, für beide eine halbe Stunde Fahrt von zu Hause. Es war ein bisschen gefährlich – Simon sagte ihr, er hätte keine Zeit für eine lange Fahrt. Er wurde allmählich leichtsinnig. Ein paar Tage zuvor hatte er sie von zu Hause aus angerufen, spätabends, als seine Frau schon schlief. Zehn Minuten nach Beginn des Gesprächs hörten sie ein Klicken in der Leitung und dann Bradys Stimme: »Hallo? Dad? Telefonierst du?«
    »Ich

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